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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Krampf hält er den Hörer des Feldtelefons an sein Ohr. Es entsteht eine kurze Pause zwischen den Explosionen. Er hört die Bruchstücke einer Unterhaltung: «Bericht der 9. Kompanie. Bisher neun Tote. Sonst alles gut.» Dann bricht die nächste Salve herein, diesmal sehr nah. Erschütterungen. Staub. Dröhnen. Das Telefon verstummt. Licht fällt durch ein neu entstandenes Loch in der Decke. Unter Trommelfeuer zu stehen ist für Lobanov-Rostovskij eine neue Erfahrung:
     
Es ist unmöglich, das Geschehen in Worte zu fassen, aber jeder, der es erlebt hat, weiß, was ich meine. Die vielleicht beste Art, es zu beschreiben, ist der Vergleich mit einem ununterbrochenen und heftigen Erdbeben, vermischt mit Blitz und Donner, während sich zugleich irgendein dummer Riese den Spaß macht, Hunderte von Feuern abzubrennen. Ich lag dort in meiner Grube mitten in all dem Donner und Lärm und versuchte krampfhaft, zu denken und das zu tun, was von mir erwartet wurde.
     
    Er machte jene Erfahrung, die schon Millionen Soldaten bei ihrer Premiere im Schützengraben gemacht haben, dass sich, während die visuelle Welt zusammenschrumpft, die Welt der Gerüche und Geräusche drastisch erweitert. Besonders der Lärm ist überwältigend, betäubend. Zwei Gedanken schälen sich heraus aus der dunklen Verwirrung, die in seinem Kopf herrscht. Der erste: «Wenn mir jetzt etwas passiert, ist es schade, dass ich nicht genug Zeit hatte, dieses Buch von Clausewitz fertigzulesen.» Dann: «Meine Soldaten sehen mich an, ich muss also meine Angst verbergen.»
    Nach einer Weile in diesem kochenden Chaos verliert Lobanov-Rostovskij jedes Zeitgefühl. Einmal fühlt er – er hört oder sieht es nicht, er fühlt –, dass irgend etwas im Anflug ist, und noch ehe seine Sinne es registrieren können, schlägt eine Salve von 15-cm-Granaten rings um ihn ein. Als er wieder zu sich kommt, ist er mit Erde bedeckt, aber unverletzt. Ein Unteroffizier liegt neben ihm und berichtet, dass der Scheinwerfer getroffen und zerstört wurde. Und immer noch fallen Granaten unablässig aus dem verfinsterten Himmel herab.
    Plötzlich: Dunkelheit, Stille.
    Die Ruhe tritt so schnell ein, «dass die Veränderung fast physisch schmerzhaft war».
    Es ist genau drei Uhr. Deutsche Pünktlichkeit.
    Jetzt, da alles vorbei ist, beginnt Lobanov-Rostovskij zu zittern, heftig. Es schüttelt ihn so sehr, dass sein Körper schließlich von Schweiß bedeckt ist.
    Danach geschieht nichts mehr in dieser Nacht.

114.
    Samstag, 16. September 1916
    Michel Corday arbeitet spät nachts im Ministerium in Paris
     
    Früher Herbst. Klarer Himmel. Er ärgert sich wie üblich über die Zeitungen. Auf den Titelseiten prangen fette Schlagzeilen, die neue alliierte Siege verkünden. Erst auf der dritten Seite entdeckt er eine negative Meldung. Dort wird in drei Zeilen berichtet, dass die rumänische Armee weiter auf dem Rückzug ist.
    Sonst nichts. Corday hat gerade den Brief eines Obersten gelesen, der von einem furchtbaren Ereignis in Verdun berichtet, wo noch immer die Schlacht tobt, wenn auch mit weniger Intensität. (Vor einer Woche haben französische Truppen bei Douaumont einen Angriff durchgeführt und ein paar Schützengräben eingenommen. Vor zwei Tagen starteten deutsche Verbände einen Gegenangriff. Gleichzeitig ist die Schlacht an der Somme nach einer Phase der Ruhe wieder aufgeflammt. Gestern wurde dort erstmals eine völlig neue Kriegsmaschine eingesetzt, ein motorbetriebenes Kampffahrzeug, bewaffnet mit Kanonen und Maschinengewehren, geschützt durch Panzerstahl und auf Raupenketten unterwegs.) Ein stillgelegter Eisenbahntunnel beim Fort Tavannes in Verdun war von den Truppen seit langem als Schutzraum, Quartier und Munitionslager benutzt worden. Der zugebaute Tunnel war ständig mit Menschen überfüllt, Soldaten, die den Kontakt zu ihrer Einheit verloren hatten oder einfach nur Schutz vor dem ewigen Granatenbeschuss suchten. In der Nacht zum 5. September explodierte ein Munitionslager, und in dem Feuer kamen zwischen fünfhundert und siebenhundert Soldaten um. Das ist mit keinem Wort in der Presse erwähnt worden. (Übrigens erfuhren nicht einmal die führenden Politiker von dem Vorfall.)
    Die Zensur ist strengen Regeln unterworfen, die nur schwer zu überblicken sind.  69 In den Zeitungen gibt es nicht selten weiße Flecken, wo bestimmte Artikel in letzter Sekunde herausgenommen wurden. In vielen geht es um rein begriffliche Manipulationen, manchmal an der Grenze zur

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