Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
österreichischungarische Stellung war stark befestigt. Dann geschah das, was immer passiert: Nach der Anstrengung und den Verlusten hatten sie nicht die Kraft, weiterzugehen. Stattdessen schaffte der Feind neue Truppen heran und ging zum Gegenangriff über, denn von jetzt an wurde der an sich bedeutungslose Ort in Kommuniqués und Zeitungsnotizen erwähnt – und war damit zu einer Trophäe geworden, die es zu verteidigen oder zu erobern galt.
Monellis Kompanie hat mehrere feindliche Gegenangriffe abgewehrt. Im Stacheldraht hängen tote Österreicher. Auch die eigenen Verluste sind beträchtlich. Die meiste Zeit sind sie unter Beschuss der Artilleriefeuer von den Bergen ringsum. Monelli stellt fest, dass von seinem ursprünglichen Zug fast keiner mehr übrig ist. Ständig ist man vom Gestank verwesender Leichen umgeben. In einer Felsspalte unmittelbar neben ihnen liegen rund zwanzig Gefallene und verfaulen. Einer davon ist ein österreichischer Sanitätsoffizier. Sein Körper liegt so, dass Monelli dessen langsame Verwandlung verfolgen kann. Gestern platzte die Nase auf, und eine grüne Flüssigkeit sickerte heraus. Seltsamerweise sind die Augen der Leiche noch nahezu unversehrt, und Monelli hat das Gefühl, dass sie ihn vorwurfsvoll anstarren. Er schreibt in sein Tagebuch:
Ich war es nicht, der dich getötet hat, und warum musstest du, der du doch Arzt warst, unbedingt an dem nächtlichen Angriff teilnehmen? Du hattest eine zärtliche Verlobte, die dir Briefe schrieb, die vielleicht verlogen waren, aber trostreich, und du hast sie in deiner Brieftasche aufbewahrt. Rech hat sie dir abgenommen, die Brieftasche, in der Nacht, als sie dich töteten. Wir haben auch ihr Porträt gesehen (eine Schönheit – aber jemand hat unanständige Bemerkungen gemacht) und Fotos von deinem Schloss und all dem geliebten Zierrat, den du darin hattest; wir haben alles auf einem kleinen Haufen gesammelt, um den wir saßen, eingepfercht in unserem Schutzraum, froh darüber, den Angriff abgewehrt zu haben, mit einer Flasche Wein als Belohnung für unsere mühsame Arbeit. Es war nicht lange, nachdem du gestorben bist. Du bist schon nichts, nichts mehr als eine graue, am Felsen zusammengesunkene Masse, der es vorherbestimmt ist zu stinken, und wir so lebendig, Fähnrich, so unmenschlich lebendig, dass ich vergebens einen Hauch von Reue in der Tiefe unseres Bewusstseins gesucht habe. Was nützt es dir, die Welt mit solcher Lüsternheit betrachtet zu haben, ihren jungen Körper in deinen Armen gehalten zu haben, in den Krieg gegangen zu sein, als sei das eine Berufung? Vielleicht warst auch du berauscht von der großen Aufgabe und von deinem Platz im Vortrupp und davon, dass es vielleicht deine Bestimmung war, dich zu opfern. Für wen? Die Lebenden, die es so eilig haben, die Lebenden, die sich an den Krieg gewöhnt haben wie an einen hitzigen Lebensrhythmus, die Lebenden, die nicht glauben, dass sie selbst sterben müssen, die denken nicht mehr an dich. Es ist, als hätte dein Tod dein Leben nicht nur beendet, sondern es auch annulliert. Eine kurze Zeit noch wirst du eine Nummer im Verzeichnis des Feldwebels sein, ein Objekt von pathetischen Gedenkreden: aber du, Mensch, du bist nicht mehr, und es ist, als hätte es dich nie gegeben. Kohle und Schwefelwasserstoff liegen dort unten, bedeckt von einem Haufen Uniformfetzen; und das nennen wir Tote.
Der Gestank der Toten in der Felsenspalte ist jedoch immer unerträglicher geworden. Als es dunkel wird, erhalten vier Soldaten den Auftrag, die Leichen fortzuschaffen. Sie bekommen Gasmasken gegen den Geruch und je ein Glas Cognac.
118.
Dienstag, 26. September 1916
Vincenzo D’Aquila wird aus der Nervenheilanstalt in Siena entlassen
Es ist Punkt zwölf Uhr. Er befindet sich gerade im Innenhof mit einigen anderen Patienten, als der Anruf kommt. Einer der Pfleger winkt ihn heran, erklärt ihm, er solle sich im Zimmer des Krankenhausdirektors melden, und fügt hinzu: «Sag deinen Kumpeln Lebewohl, Korporal, jetzt kommst du frei.» D’Aquila ruft seine Unglücksbrüder zu sich. Sie wünschen ihm alles Gute, und er hat plötzlich gemischte Gefühle: «Trauer darüber, von den Jungs getrennt zu werden – und das Glücksempfinden, bald freie Luft atmen zu können». Nachdem er seine Uniform angezogen und seine persönlichen Gegenstände abgeholt hat, geht er zum Verwaltungsgebäude hinüber und klopft an die Tür des Direktors.
In Siena ist D’Aquila langsam aufgewacht: Er glaubt
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