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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Kampf verliehen wird. Sie verkaufen Ansichtskarten oder singen patriotische Lieder, um ein wenig Geld zu bekommen.
    Der bettelnde Soldat, den Corday auf dem Bürgersteig antrifft, hat nur einen Arm. Außerdem ist er betrunken. Der Mann kämpft sich durch die Menschenmenge, bettelt die Leute um ein paar Kupfermünzen oder auch nur eine Zigarette an. Und die ganze Zeit murmelt er das eine Wort: «Frieden …»
    Später unterhält sich Corday mit einem Bekannten, der berichtet, die Meutereien in der französischen Armee seien noch nicht beendet. Über vierhundert Soldaten seien bisher hingerichtet worden.  16 Der Freund erzählt auch von einem Meuterer, der angesichts seines drohenden Schicksals gesagt haben soll: «Wenn sie mich erschießen, weiß ich jedenfalls, warum ich sterbe.»

150.
    Mittwoch, 20. Juni 1917
    Florence Farmborough kehrt an die Front in Lositjino zurück
     
    Sommersonne. Hitze. Gewitter liegt in der Luft. Sie sieht die mit Zweigen getarnten Zelte oben auf dem Hügel. Sie sieht Pferde, die im Schatten einzelner Bäume versammelt sind. Sie beobachtet Gestalten, die im trüben Wasser des Flusses baden. Farmborough ist froh, zurück zu sein. Im Moment ist alles ruhig, aber es kursiert das Gerücht, dass die russische Armee bald wieder angreifen wird. Dann werden sie wieder viel zu tun haben.
    Florence Farmborough ist nur ein paar Tage fort gewesen, um sich mit britischen Krankenschwestern zu treffen, die in einer anderen Einheit Dienst tun, aber die kurze Auszeit machte sie auf Dinge aufmerksam, die früher für sie alltäglich gewesen wären. Wie das Essen. Sie zögert, wenn Soldatengrütze auf den Tisch kommt. Die Fettklumpen ekeln sie an. Und die Fischsuppe ist versalzen. Obwohl sie hungrig ist, isst sie nur Schwarzbrot, das sie mit Tee hinunterspült. Sie findet die Gespräche am Tisch deprimierend, es herrscht eine gereizte Stimmung.
     
Nach dem Essen ging ich mit Sofija auf unseren Hügel. In der Ferne lagen die hohen Berggipfel, von einem weichen, kobaltblauen Dunst verhüllt. Die kleinen Dörfer Sarantjuki, Kotovo und Rybniki lagen tief unter uns in verschiedenen Tälern. Wir konnten sehen, dass die Bauernhöfe zerstört und verlassen waren. Die feindlichen Schützengräben waren gut zu erkennen. Sie schienen den russischen Linien gefährlich nahe zu sein – nur rund zwanzig Meter, hatte Sofija gehört. Auf den Feldern in der Umgebung sind scharlachrote Tupfer von Mohn zu sehen, außerdem Gänseblümchen und einzelne Kornblumen. Ein Feld mit Mohn hat etwas so Tröstliches und Heimatliches an sich.
***
    Am selben Tag schreibt Elfriede Kuhr in ihr Tagebuch:
     
Ein Gespenst in grauen Lumpen ist dieser Krieg, ein Totenschädel, aus dem Maden kriechen. Schon viele Monate lang toben neue schwere Kämpfe im Westen. Es sind die Schlachten am Chemin-des-Dames, an der Aisne und in der Champagne. Alle Erde ist ein Trümmerfeld, alles ist Blut und Schlamm. Die Engländer haben eine grässliche neue Waffe eingesetzt, Panzerwagen auf Walzen, die über jedes Hindernis wegrollen. Die Kampfwagen heißen Tanks.  17 Vor ihnen ist nichts sicher; sie walzen jede Batterie, jeden Schützengraben, jede Stellung platt, von den Soldaten ganz zu schweigen. Wer sich noch in einem Granattrichter retten wollte, hat keine Chance mehr. Dann das Giftgas, das verfluchte. Die Engländer und die Franzosen haben noch keine richtig schließenden Gasmasken mit Sauerstoffzufuhr wie die deutschen Soldaten. Es gibt aber auch ein Giftgas, das die Uniformen zerfrisst. Ein großes Sterben!

151.
    Montag, 25. Juni 1917
    Paolo Monellis Bataillon erlebt das Inferno am Ortigara
     
    Jetzt sind sie an der Reihe. Sie haben diesen Moment erwartet. Rund vierzehn Tage lang haben sie beobachtet, wie Bataillon um Bataillon auf den Gipfel des Ortigara geschickt wurde, und jedes Mal haben sie auch das Resultat sehen können: Zuerst kommen die Bahrenträger mit den Verwundeten und die Maulesel, die mit den Leichen bepackt sind, dann – nach einigen Stunden oder Tagen – trottet vorbei, was vom Bataillon übrig geblieben ist. So funktioniert es. Die Bataillone werden in die Mühle des Artilleriefeuers geschickt, bis sie den Großteil ihrer Leute verloren haben. Dann werden sie von neuen Bataillonen abgelöst, die so lange kämpfen, bis sie den Hauptteil ihrer Leute verloren haben. Und so weiter.
    Das nennt man Materialschlacht. Gelegentlich startet die eine oder andere Seite einen Angriff, durch Täler voller Krater, die noch warm sind nach

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