Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Schändlich aber war es zu sehen, auf welch hündische Weise diese Saufkerle von den Matrosen um Bier, Zigaretten und Schnaps angebettelt wurden. Man hätte weinen mögen über solche Selbsterniedrigung. Einige vergaßen sich so weit zu versichern, dass sie gute Soldaten und gute Preußen seien. Sie erhielten ein extra Glas Bier. Schließlich wurden gar noch Hurras auf einzelne besonders freigebige Spender ausgebracht.
147.
Mittwoch, 6. Juni 1917
Paolo Monelli marschiert hinauf zur Front am Cima della Caldiera
Abend. Aufmarsch. Die lange Kolonne des Bataillons bewegt sich in der Dämmerung stetig aufwärts. Sie alle kennen ihr Ziel. Und diejenigen, die schon bei den Kämpfen im Vorjahr dabei waren, zeigen auf die Stellen, die ihnen noch im Gedächtnis haften, nennen die Namen der Soldaten, die gefallen sind. «Via dolorosa.» Der Blick hinab ins Tal, das in Mondlicht getaucht ist, sorgt bei Monelli zunächst für ein heftiges Schwindelgefühl, aber die zunehmende Erschöpfung lässt ihn langsam das Interesse an allem verlieren, was ihn umgibt. Am Ende nimmt er nur noch das Fußgetrampel wahr – und die Müdigkeit.
Im Schutz der Nacht marschieren sie über das Plateau, spüren die vage Kälte, die der Schnee ausstrahlt. Er erkennt einige große Feuer. Er sieht schlafende Männer; dies ist die Truppe, die morgen angreifen wird.
Welch arme Schweine. Das Los jedes Einzelnen dieser Männer erscheint mir elender als mein eigenes. Nicht für die erste Angriffswelle vorgesehen zu sein, kommt mir als ein unfassbares Glück vor, und ich bin erstaunt darüber, dass diese Männer so ruhig schlafen können, die morgen außerhalb des Laufgrabens alles loslassen müssen, was ihr Leben schützt. Ich fürchte mich um ihretwillen. (Es ähnelt dem Moment, als ich auf einem Steinblock stehend beobachtete, wie ein Mann sich an der steilen Felswand festklammerte, nur um am nächsten Tag unbekümmert seinen Spuren zu folgen.)
Im Morgengrauen erreichen sie ihr Ziel. Sie schlagen ihr Lager auf. Er sieht Felsen, Schnee und ein paar vereinzelte Kiefern.
148.
Montag, 11. Juni 1917
Angus Buchanan und der Kampf bei Ziwani
Wo ist der Feind? Wo sind die eigenen Leute? Das sind die Fragen, die bei nächtlichen Operationen immer wieder auftauchen. Genau um Mitternacht wurden Buchanans 25 th Royal Fusiliers und eines der schwarzen Bataillone, die immer häufiger zum Einsatz kommen, im Schutz der Dunkelheit an einer bestimmten Stelle am Lukuledifluss an Land gesetzt, fünfzehn Kilometer flussaufwärts von Lindi und der Küste. Die Idee ist nicht schlecht: Auf diese Weise kann man – gemeinsam mit einer anderen Truppe, die im Norden vorrückt – die starken deutschen Stellungen, die näher an der Küste liegen, überwinden.
Doch ein Marsch, der schon bei Tageslicht beschwerlich ist, kann im nächtlichen Dschungel leicht zum Albtraum werden. Der Plan sieht deshalb vor, dass Buchanans Bataillon entlang einer Eisenbahnlinie marschieren soll, die vom Fluss nach Mkwaya verläuft. Und so bewegt sich ihr Verband in erstaunlichem Tempo durch den Busch. Bei der Landung auf dem schlammigen Flussufer waren sie alle nass und kalt geworden, aber inzwischen haben sie sich warm gelaufen. Die Frage ist nur: Wo ist der Feind? Und wo ist der Rest der eigenen Truppen? Das schwarze Bataillon rückt irgendwo links von ihnen vor, auf einem hoffentlich parallelen Kurs.
Buchanan hört einen einsamen Hahn krähen, klar und kräftig. Er begreift, dass sie sich besiedeltem Gebiet nähern, und dass der Morgen graut. Er sieht einen schwachen Lichtschimmer am Horizont aufsteigen. In der Ferne hört er das erste, gedämpfte Artilleriefeuer. Eines ihrer Kanonenboote ist entdeckt worden und gerät in ein Feuergefecht. Bald hört er auch das Geräusch britischer Flugzeuge, die aufgestiegen sind, um den Feind auszuspähen, der sich bisher im dunkelgrünen, duftenden Busch gut versteckt gehalten hat.
In der Morgendämmerung ziehen sie an Mkwaya vorbei, dann biegt die Kolonne nach Westen ab, in Richtung Mohambika. Zwei Stunden später ist heller Tag. Als sie bei Ziwani auf einen Höhenzug gelangen, erblicken sie zum ersten Mal den Feind. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, gut 1500 Meter entfernt, sind deutsche Askaris zu erkennen. Er sieht auch die Rauchwolken der feindlichen Artillerie – 10,5-cm-Geschütze, die die Deutschen mit ihrem Improvisationstalent von dem außer Gefecht gesetzten kleinen Kreuzer Königsberg geborgen haben. Als
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