Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
wie hier im nördlichen Italien, geht der Krieg in der Luft weiter. Ein großer italienischer Caproni-Bomber brummt über den klarblauen Himmel. Die österreichisch-ungarische Luftabwehr beschießt ihn heftig. Weiße Rauchwölkchen entfalten sich dort oben, aber vergeblich. 1 Der Rauch der Explosionen verzieht sich im Wind. Ein einsamer österreichischer Eindecker kommt angeflogen und nimmt die Jagd auf den langsamen, mehrmotorigen Bomber auf. Pál Kelemen notiert in seinem Journal:
Unser Flieger kommt dem ungeschickt manövrierenden Doppeldecker näher und näher, und das ständige Rattern seiner Maschinengewehre ist am Boden deutlich zu hören. Plötzlich kippt die italienische Maschine vornüber. Unser Flugzeug schwebt für einen kurzen Moment über ihm und entfernt sich dann nach Norden, während das Caproni-Flugzeug zur Erde trudelt, mit stillstehendem Motor und flatternden Flügeln, und schließlich auf dem Boden aufschlägt.
Als ich die Stelle erreiche, hat man den Körper des italienischen Fliegerhauptmanns, der von einer Maschinengewehrkugel getötet wurde, schon ins Gras neben das Flugzeug gelegt. Ein Flügel dieses gigantischen Kriegsvogels hat sich, verdreht und zerbrochen, in die Erde gebohrt, und aus dem durchlöcherten Motor sickert Öl.
Der italienische Offizier trägt einen Overall aus Leder, und seine tadellose Eleganz wird nur dadurch gestört, dass ihm die Mütze in das sorgfältig rasierte Gesicht gerutscht ist. An seinem Handgelenk tickt eine gut gearbeitete Armbanduhr aus Silber, völlig unbeschädigt, und der ganze Körper liegt dort in so großer Ruhe ausgestreckt, dass man denken könnte, er schlafe bloß.
Wir durchsuchen seine Taschen; jemand gibt mir seine große Brieftasche. Neben Briefen, Banknoten und Zetteln enthält sie eine gefaltete Karte mit festem schwarzem Umschlag: «Saisonkarte für den Zirkus in Verona».
Hier, auf diesem wüsten, von Kratern übersäten Feld, ist der Zirkus nur ein Name, auf Karton gedruckt. Die glitzernden Lampen unterhalb der Logenplätze, die aufgewirbelten Sägespäne, die knallende Peitsche des Zirkusdirektors, die reitende Zirkusprinzessin mit ihrem Kleid aus Tüll und funkelnden Juwelen, ja, das Vergnügen der zahlreich versammelten Kinder, das alles hat dieses junge Leben nun für immer hinter sich gelassen. Die anderen schlanken, schneidigen Offiziere werden heute Abend vergeblich in der Loge warten. Und doch wird das Zirkusorchester seine Lieder schmettern, wird der Clown mit seinem mehlweißen Gesicht und der bezahlten guten Laune kommen und seinen Salto mortale auf einem Stück Samt vollführen, das auf dem Sand ausgelegt wurde. Und die Damen werden aus der Distanz flirten, so als wäre er da, als käme er, genau wie gestern, nur zu spät.
Ich hätte ihm die Karte gern unter sein blutiges Hemd gesteckt, so wie einst in heidnischer Zeit alles, was dem Helden zum Gebrauch diente, ihn auch ins Grab begleitete, damit sein Eigentum von der Erdoberfläche verschwände und es zumindest einen leeren Platz zu seinem Gedenken im Zirkus von Verona gäbe.
***
Am selben Tag schreibt Willy Coppens in sein Tagebuch:
Während einer Patrouille über dem südlichen Teil unseres Sektors, in Richtung Ypern, gerate ich in einen Schneesturm und verliere völlig die Orientierung. Unsere Flugzeuge haben schlechte Kompasse, die am Fußboden angebracht sind, wo sie wenig nützen; ich merke zuerst, dass ich vor Kemmelberget bin und dann bei Dunkerque, von wo aus ich ohne Schwierigkeiten den Weg zurück zum Verband finde.
180.
Montag, 7. Januar 1918
Florence Farmborough kommt in Moskau an
Der Zug schaukelt, rattert, schaukelt, rattert durch eine weiße Winterlandschaft, die von einer schwachen Vormittagssonne beleuchtet wird. Allmählich wird die Bebauung dichter. Mittags um halb eins fahren sie in den Bahnhof von Moskau ein. Die Reise von Odessa hat eine ganze Woche gedauert; so viel Unordnung herrscht in Russland. Und die Reise war nicht nur lang, sondern auch sehr beschwerlich. Sie hat mehrmals um ihre Sicherheit fürchten müssen.
Der Zug ist brechend voll gewesen mit Soldaten aller Art und in allen denkbaren Gemütslagen: fröhlich, aggressiv, betrunken, hilfsbereit, rücksichtslos, euphorisch, wütend. Über einzelne Etappen haben die Leute sogar auf dem Dach gesessen. An einigen Bahnhöfen haben sich manche den Weg in den Zug gebahnt, indem sie einfach die Fensterscheiben einschlugen und sich hineinhangelten. Wie Florence haben sie die Front und
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