Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
plötzlich steil abtaucht. Er fliegt ihm sofort nach.
Sie stoßen auf einen langsamen deutschen Zweisitzer.
De Meulemeester erreicht ihn als Erster, folgt exakt der Regel und wartet bis zum allerletzten Augenblick, bevor er schießt. Der Belgier verfolgt die Bewegungen des deutschen Flugzeugs und gibt eine Salve nach der anderen auf seine Beute ab. Coppens fliegt dahinter. Er beobachtet, wie ein Schweif von blauem Qualm hinter dem feindlichen Flugzeug herzieht. Er sieht, dass die Schüsse weiter treffen, wie die deutsche Maschine eine plötzliche, heftige Krängung vollführt – und auseinanderbricht. Zurück bleibt nur eine Wolke.
Aus dieser Wolke umherfliegender Wrackteile lösen sich zwei Dinge. Das eine ist der Flugzeugrumpf, der, schwarzen Rauch ausstoßend, schnell und geradewegs in die Tiefe stürzt. Das zweite ist der Beobachter, noch lebend, der mit dem Kopf nach unten zur Erde fällt. Der Mann dreht sich langsam, langsam in der Luft, die Arme ausgebreitet, wie ein Gekreuzigter. Coppens kann nicht anders, als dem Fallenden nachzuschauen, bis dieser zu einem Punkt zusammenschrumpft. Ein ums andere Mal denkt er, jetzt, jetzt schlägt er auf, aber der Fall geht weiter und weiter, und es kommt Coppens wie eine Unendlichkeit vor, bis der Punkt plötzlich stehenbleibt.
Coppens ist erschüttert:
Armer Mann! Armer Mann! Diesmal hatte ich zum ersten Mal den Menschen gesehen und konnte nicht länger an meinem alten Gefühl festhalten, dass es eine Art gigantisches Insekt war, mit dem ich es zu tun hatte.
Als Coppens seine Maschine wendet, fliegt er noch einmal an den langsam herabfallenden Resten des feindlichen Flugzeugs vorbei. Eine Karte, die in der Luft taumelt, verfängt sich für einen Augenblick an einer seiner Flügelspitzen.
Um den schrecklichen Anblick und seine Gedanken abzuschütteln, braucht er «irgendeine gewaltsame Reaktion». Also vollzieht er einen Looping, und noch einen und noch einen. Die anderen machen es ihm nach.
190.
Donnerstag, 21. März 1918
Alfred Pollard erfährt von dem deutschen Durchbruch an der Somme
An diesem Morgen beginnt die große deutsche Frühjahrsoffensive. Obwohl bekannt war, dass die Deutschen große Mengen Truppen und Material aus dem Osten hierherverlegt und alle auf einen Angriff gewartet haben, ist die Überraschung groß, vor allem darüber, dass der deutsche Angriff so erfolgreich ist. Die meisten dachten, es würde sich das Gleiche wiederholen wie bei den Attacken der Alliierten, nämlich ein langsamer, verlustreicher Abnutzungsprozess an praktisch undurchdringlichen Verteidigungslinien. Mittels einer Kombination aus erfolgreichen Täuschungsmanövern, ungewöhnlich starken Artilleriekräften und der im Osten und in Italien erprobten Infiltrationstaktik hat die deutsche Armee einen großen und unerwarteten Durchbruch erzielt.
Alfred Pollard schreibt:
Das Erste, was wir mitbekamen, war der eilige Befehl, zu packen und uns bereitzuhalten, um nach halbstündiger Vorwarnung losmarschieren zu können. Es war sehr interessant zu sehen, welche Wirkung dieser Befehl auf die verschiedenen Typen im Bataillon hatte. Alle, die noch nicht in der vordersten Linie gewesen waren, zeigten sich zufrieden; die Restlichen konnte man in Gruppen einteilen: Manche waren niedergeschlagen, die meisten gleichgültig, einige wenige, wie ich selbst, aufrichtig froh. Ich war wirklich voller Freude. Nachdem ich gerade ein paar grässlich langweilige Monate durchlitten hatte, war die Vorstellung, wieder ein bisschen zu kämpfen, durchaus erfrischend.
***
Am selben Tag schreibt Herbert Sulzbach in sein Tagebuch:
Die Kanoniere stehen in Hemdsärmeln, und der Schweiß läuft ihnen herunter. Granate auf Granate wird in den Lauf geschoben, Gruppe auf Gruppe abgefeuert, und man braucht gar nicht mehr zu kommandieren, sie sind in einer solchen Begeisterung, sie jagen ein solches Schnellfeuer heraus, dass kein Kommando mehr notwendig ist. Eine Verständigung mit den Kanonieren ist ja überhaupt nur noch durch Pfeifsignale möglich. Um 9.40 Uhr beginnt die Feuerwalze, und unter dieser Deckung steigen die Tausende und Abertausende von Soldaten aus den Gräben, und der Sturm geht los, und der Sturm ist schon geglückt.
191.
Sonntag, 24. März 1918
Harvey Cushing fällt es schwer, den Frühling in Boulogne-sur-Mer zu genießen
In der Nacht sind Bomben gefallen. Jetzt ist es ein warmer und sonniger Frühlingsmorgen, und Cushing begleitet einen General, der die durch
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