Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
haben rund 50 000 Gefangene gemacht und 800 Kanonen erbeutet und bewegen sich in beunruhigendem Tempo auf die Marne zu; jetzt stehen sie nur 90 Kilometer von Paris entfernt.
An drei aufeinanderfolgenden Tagen hat Arnaud die gleiche Prozedur durchgemacht. Am Morgen verlässt er Paris und nimmt den Zug zu dem Ort, an dem das Regiment sich zuletzt befunden hat, nur um zu erfahren, dass der Verband inzwischen weitergezogen ist, und am Nachmittag kehrt er unverrichteter Dinge nach Paris zurück. Es ist offensichtlich, dass die oberste Armeeführung nicht recht weiß, was vor sich geht, und dass sie mit Hilfe wiederholter Rochaden versucht, Reserven für einen Gegenangriff zu sammeln. 18
Als er an diesem Tag sein Ziel erreicht, erfährt er, dass das Regiment noch am Ort ist. Das letzte Stück lässt er sich von einem Schlachterauto mitnehmen. Es fällt Arnaud nicht schwer, die Ironie zu erkennen.
200.
Montag, 3. Juni 1918
René Arnaud leitet einen Angriff bei Masloy
Er erwacht mit einem Ruck. Um ihn herum Bäume, neben ihm Robin, sein Leutnant. «Sie bombardieren uns.» Deutsche 7,7-cm-Granaten schlagen ringsum ein. Kurzes, lautes Knallen. Mit dem Rest der Kompanie verlässt er in größter Eile das Wäldchen, in dem sie die Nacht verbracht haben. Sie laufen zu einigen Häusern, die weniger als hundert Meter entfernt liegen. Zu ihrem Glück erweisen sich viele der feindlichen Projektile als Blindgänger, ein immer häufiger auftretendes Phänomen.
In einem Keller trifft er den Chef des Bataillons an, das diesen Abschnitt hält. Arnaud und seine Leute sollen eigentlich die Kompanie eines anderen Bataillons ablösen, ja, einer anderen Division. Aber in der Nacht haben sie sich verirrt, und jetzt wissen sie nicht, was sie tun sollen. Wieder einmal warten Verteidigungskämpfe auf sie.
Er meint zu beobachten, dass die französische Armee Anzeichen «einer wunderlichen Mischung» erkennen lässt, dass sie «im Begriff ist, die Kontrolle zu verlieren und sie gleichzeitig wiederzuerlangen». An Krisensymptomen fehlt es nicht. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass man auf den Straßen Soldaten antrifft, die «ihre Regimenter verloren haben», ein Satz, den er inzwischen zur Genüge gehört hat. Ein akuter Mangel an Fußvolk hat dazu geführt, dass Kavallerieverbände in aller Hast in Infanterie umgewandelt werden, was die einfachen Soldaten mit kaum verhohlener Schadenfreude quittieren, da die Männer in diesen Reitereinheiten 19 bisher ein bequemes Leben hinter den Linien genossen haben, in geruhsamer Erwartung jenes versprochenen, aber nie verwirklichten französischen Durchbruchs. Gleichzeitig ist vom Schockzustand, der noch vor einer Woche herrschte, kaum mehr etwas zu spüren. Jetzt sammelt sich die französische Armee zum Gegenangriff. Doch unter der Oberfläche lauert noch die Panik.
Arnaud erklärt dem Major im Keller die Situation: dass sie sich verirrt haben und er deshalb seine Kompanie zur Verfügung stellt. Wofür der Major ihm dankbar ist. Ihr Gespräch wird indessen von einem beleibten Fahnenjunker unterbrochen, der die Kellertreppe heruntergestürzt kommt:
«Herr Major, der Deutsche greift mit Tankwagen an.»
«Verdammter Mist», rief der Major aus: «Wir müssen sofort abhauen.» Und mit einer schnellen Bewegung, die kaum heroisch, aber ganz natürlich war, griff er nach seinem Gürtel und seinem Revolver, die auf dem Tisch gelegen hatten – doch dann fiel ich ihm wieder ein: «Übrigens, Hauptmann, wo Sie schon hier sind, gehen Sie zum Gegenangriff über!»
«Aber … in welche Richtung, Herr Kommandant?»
«Gegenangriff, genau vor Ihnen!»
«Ja, Herr Kommandant.»
Innerhalb weniger Minuten hat Arnauds Kompanie in zwei Linien mit zwanzig Metern Abstand Aufstellung genommen. Dann geht es los. Den ganzen Winter über hat er seine Soldaten gedrillt. Es ist nicht leicht gewesen, denn viele von ihnen sind schon älter, ängstlich, unerfahren und untrainiert, Leute, die den größten Teil des Krieges auf geschützten Posten weit hinter der Front zugebracht haben und vielleicht dort hätten bleiben dürfen, wäre nicht dieser akute Mangel an Rekruten. Arnaud sieht die Linien in vorbildlicher Ordnung vorrücken und ist zufrieden. Es ist fast wie auf dem Übungsgelände.
Die Kompanie stürmt vorwärts, alle gehen in Deckung, warten, laufen weiter, werfen sich wieder hin. Beim dritten Sturmlauf sieht er, dass zwei Männer links außen liegen bleiben. Sie sind also unter Beschuss. «Runter,
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