Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
lächelnden jungen Mann mit ovalem Gesicht, schmaler Nase und einem offenen, neugierigen Blick. Er hat gerade beschlossen, sich einen Schnauzbart wachsen zu lassen, und sein Uniformschlips ist im einfachen Schülerknoten gebunden.
Doch obwohl er und die anderen Offiziere buchstäblich in der Luxusklasse leben, pflegen sie keineswegs den Müßiggang. In der Regel stehen sie morgens um Viertel vor sechs auf, und die Tage sind mit Gymnastik, Soldatenausbildung, Sportwettkämpfen und Kursen, etwa in Boxen und Französisch, ausgefüllt. (Der Plan sieht vor, die 20 000 Australier und 8000 Neuseeländer im Konvoi an der Westfront einzusetzen.) Le prochain train pour Paris part à quelle heure?
Anfangs war der Krieg noch weit entfernt. 24 Zunächst fuhren die Schiffe unter voller Beleuchtung wie in Friedenszeiten, was für das Kreuzfahrtschiff Orvieto bedeutete, dass es nachts von tausenden Lampen erhellt war. Aber jetzt sind die Schiffe sorgsam verdunkelt, es ist sogar verboten, nach Sonnenuntergang an Deck zu rauchen. Man fürchtet die unberechenbaren deutschen Kreuzer, die sich überall im Indischen Ozean herumtreiben und schon fast zwanzig alliierte Handelsschiffe versenkt haben. Außerdem hat sich das Auslaufen des Konvois in Australien verzögert, weil man wusste, dass ein deutsches Kreuzergeschwader in der Nähe war. 25
Nun halten sie einen nordwestlichen Kurs, begleitet von einer Eskorte alliierter Kriegsschiffe; als Dawkins über die Steuerbordreling schaut, sieht er den japanischen Kreuzer Ibuki , dessen breite Schornsteine aus irgendeinem Grund einen wesentlich dichteren Rauch ausstoßen als die britischen und australischen Schiffe. Der aus achtunddreißig Schiffen bestehende Konvoi bietet einen imposanten Anblick. An diesem Tag sitzt Dawkins in seiner Kabine und schreibt an seine Mutter:
Es ist wunderbar, Großbritanniens Macht auf dem Ozean zu erblicken. Der gewaltige Konvoi dampft unaufhaltsam vorwärts, auf seinem eigenen Kurs und in seinem eigenen Tempo. Manchmal taucht vereinzelt ein Schiff auf, wie die Osterley , auf ihrer üblichen Postroute nach Australien und zurück. Und Kreuzer mit unserer Flagge am Mast zeigen sich ab und an in unterschiedlichen Himmelsrichtungen. All dies deutet auf eine totale Herrschaft über die Meere hin. Heute erfuhren wir vom Fall Tsingtaos, und es kam zu einem Austausch von freundlichen Komplimenten zwischen uns und dem japanischen Kriegsschiff.
Eigentlich wollte William Henry Dawkins Lehrer werden. Seine Familie hatte zwar weder das nötige Geld, noch hatte das Studieren bei ihnen Tradition (die Mutter war Näherin und der Vater Arbeiter), aber die Eltern erkannten Williams Begabung. Dank eines Stipendiums konnte er ein Internat in Melbourne besuchen. Mit nur sechzehn Jahren trat Dawkins an einer Schule knapp vierzig Kilometer vom Elternhaus entfernt eine Stelle als Hilfslehrer auf Probe 26 an. Vielleicht wäre er in diesem Beruf, den er sehr mochte, glücklich geworden, hätte er nicht zufällig in der Zeitung gelesen, dass in Duntroon eine Kadettenschule eröffnet werden sollte. Er bewarb sich dort, absolvierte die Aufnahmeprüfung und wurde zu seiner eigenen Verwunderung angenommen.
Als der erste Jahrgang von Offiziersanwärtern einrückte, war das Gebäude der Kadettenschule noch nicht fertig, der Ort war öde und abgeschieden, und sie wohnten in spartanisch eingerichteten Baracken aus Leichtbeton. Doch die Ausbildung war recht gut, und der ehrgeizige Dawkins bekam sowohl in den theoretischen wie den praktischen Fächern Bestnoten. Er ist ziemlich klein gewachsen, ungefähr einssiebenundsechzig und schmächtig, und weil ihm das Lernen leichtfällt, neigt er zu Tätigkeiten, bei denen es mehr auf den Kopf ankommt als auf Muskelkraft.
Von den siebenunddreißig Männern seines Jahrgangs, die 1914 die Ausbildung beendeten, ging der größte Teil zur Infanterie oder Kavallerie, während er und ein weiterer Kadett mit Bestnoten bei den Pionieren landeten. Diese Waffengattung dürfte auch seinem Temperament entsprochen haben: Obwohl Dawkins froh darüber ist, dem australischen Armeekorps anzugehören, und obwohl er wie alle anderen die britischen Erfolge bejubelt, ist er anscheinend nicht vom Kriegstaumel erfasst worden. Aus seinen Briefen spricht stattdessen ein ehrgeiziger, stiller und ein wenig pedantischer junger Mann, ein Volksschullehrer in Uniform. Er geht gern in die Kirche und ist das älteste von sechs Geschwistern: Die beiden jüngsten, die
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