Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Wollpullover.
Zwei Hemden.
Zwei Paar Unterhosen, das eine blau.
Dickes schwarzblaues Unterhemd.
Graues Halstuch.
Ein Muff.
Zwei Gürtel.
Ein Paar Kniewärmer.
Ein Paar Fingerhandschuhe.
Eine Erkennungsmarke: ANDRESEN, KRESTEN K.E.R.R. 86.
Vier Paar Strümpfe, davon ein Paar dünne durchbrochene (Liebesgabe). Kapuze.
Weiße Armbinde zur Benutzung bei Nachtkämpfen.
Ein halbes Kilo Schinken.
Ein halbes Kilo Butter.
Eine Dose Fruchtbutter. 29
Das Neue Testament.
«Hjortens Flugt». 30
Feldpostkarten, 30 Stück.
Schreibpapier.
«Was für die Feldgrauen, Anisöl». 31
Pflaster.
Nähzeug.
Karte.
Drei Notizbücher.
Eine dänische Flagge. (Fehlt gerade jetzt.) 32
Bajonett.
150 scharfe Patronen.
Ein halbes Kilo Speck.
Eine Speckwurst.
Ein Kommissbrot.
Das Gepäck wiegt alles in allem rund dreißig Kilo, was, wie Andresen in sein Tagebuch schreibt, «als ausreichend bezeichnet werden kann». Die Zeitungen schreiben über Verbände mit jungen Studenten, die bei Langemarck mit dem Lied «Deutschland, Deutschland über alles» auf den Lippen zum Angriff übergegangen sind. Der Winter ist nahe.
18.
Samstag, 28. November 1914
Michel Corday isst mit zwei Ministern in Bordeaux zu Mittag
Die Gesellschaft besteht aus sechs Personen, man redet über dies und das. Das Gespräch kommt aber immer wieder auf den Krieg zurück, eine solche Anziehungskraft hat dieses Thema. Man diskutiert, dass es ein Wort für eine Frau gibt, die ihren Mann verloren hat («Witwe»), aber keines für eine Frau, die ihr Kind verloren hat. Oder dass es für deutsche Zeppeline durchaus möglich ist, Paris zu bombardieren. Oder dass man in London begonnen hat, spezielle Lampenschirme über die Straßenlaternen zu stülpen und dass der bekannte Choreograph Loie Fuller sie konstruiert haben soll. Oder über diese sonderbaren Kettenbriefe mit Gebeten, in denen man aufgefordert wird, die Gebete zu kopieren und an neun weitere Adressaten zu versenden, sonst drohe «Unglück für dich und die Deinen».
Nein, am Krieg kommt kein Gespräch vorbei, vor allem, weil zwei der Männer am Tisch Mitglieder der französischen Regierung sind.
Der eine ist Aristide Briand, Justizminister und politisches Urgestein, Pragmatiker (manche würden sagen Opportunist), rot angehaucht und ausgesprochen antiklerikal eingestellt; der eloquente Briand wird als politische Figur immer wichtiger, und Kabinettskollegen beneiden ihn darum, dass er die Front besuchen durfte. Er hat in diesem Monat eine besondere Idee lanciert: Wenn sich der Krieg im Westen schon festgefahren hat, warum dann nicht eine französisch-britische Armee woandershin schicken, zum Beispiel auf den Balkan? Das andere Regierungsmitglied ist Marcel Sembat, Minister für öffentliche Arbeiten, Rechtsanwalt, Journalist und einer der führenden Männer der Sozialistischen Partei Frankreichs. Jetzt sitzen die beiden in der Koalitionsregierung, die sich nach dem Ausbruch des Krieges gebildet hat. Dass Briand in die Regierung eingetreten ist, verwundert nur wenige; er ist als Karrierist und Machtmensch bekannt. Umso mehr Erstaunen hat Sembats Eintritt ausgelöst, besonders bei den Radikalen; in deren Lager gibt es viele, die dies als Verrat betrachten, ähnlich wie die Zustimmung der deutschen Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten. 33
Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass nicht einmal die Minister genau wissen, über wie viele Soldaten die französische Armee verfügt. Teils weil die hohen Militärs – die gelegentlich ganz offen ihre Verachtung für die zivilen Machthaber zeigen – für ihre Geheimniskrämerei bekannt sind, teils weil die Register und Musterrollen seit der großen Mobilisierung im Spätsommer und den enormen Verlusten im Herbst, die ihren Höhepunkt in der Marne-Schlacht erreichten, immer noch unvollständig sind. (Wie viele Tote es gegeben hat, ist geheim und wird bis nach Kriegsende geheim bleiben.) Und kein Minister wagt seine Stimme gegen die Generäle zu erheben – die haben in allen kriegführenden Staaten noch den Status unfehlbarer Donnergötter. Eine grobe Schätzung hat sich jedoch durch die Gesamtzahl der Essensrationen ergeben, die täglich in der Armee ausgeteilt werden. Nach diesen Angaben wird berechnet, wie viele Flaschen Champagner die Regierung am Weihnachtsabend an die Truppen verteilen muss.
Nach dem Essen ist Corday ein wenig betrübt zu sehen, wie sehr seinem alten Idol Sembat die neue Rolle als Minister gefällt. Und wie er seinen Titel liebt! Corday
Weitere Kostenlose Bücher