Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Hafen von Alexandria hatten Truppentransporter festgemacht. Zwei Tage später liefen sie Lemnos an. Die Insel ist zu klein, um sie alle aufzunehmen, viele Soldaten mussten daher auf den Schiffen bleiben. An diesem Tag sitzt William Henry Dawkins an Bord des Truppentransporters Mashobara im Hafen von Lemnos und schreibt an seine Mutter:
Hier gibt es lustige alte Windmühlen, die für Getreide benutzt werden. Es sind große Steingebäude mit großen Flügeln aus Segeltuch. Der Ort ist sehr sauber, und Gleiches gilt für die Menschen, Gott sei Dank, ein wirklicher Kontrast. Alles ist mit grünem Gras bedeckt, die Felder sind sehr schön, übersät von rotem Mohn und Tausendschön. Gestern sind wir alle an Land gegangen – haben die Kompanie mitgenommen zu ein bisschen Bewegung und sightseeing – das fasst es am besten zusammen. Die Leute sind genau wie überall und versuchen, so viel wie möglich an den Soldaten zu verdienen. Es gibt keine großen Geschäfte, also spazierten wir umher und betrachteten die Menschen. Einer mit einem runden Käse unter dem Arm, ein anderer mit einem Korb Feigen, ein Dritter mit der Tasche voller Nüsse, ein Vierter mit einer Tüte Zwieback – jeder versuchte, das, was er hatte, dem anderen zu verkaufen. Wir hatten viel Spaß.
Dawkins weiß, dass sie bald weitermüssen, und er weiß, welche Aufgabe ihn und seine Kompanie erwartet, wenn es so weit ist: Sie sollen die Wasserversorgung der Brigade sichern. An Bord der Mashobara befinden sich größere Mengen von Pumpen, Rohren und Bohrern, dazu Grabgerät und Werkzeug. Gleichzeitig wird ein anderes Schiff zu einer Art Spezialschiff umgerüstet und unter anderem mit großen Landungstoren beladen. Sie haben Karten von dem Gebiet, in dem sie eingesetzt werden sollen. Es heißt Gallipoli, eine schmale Halbinsel an der Einfahrt ins Marmarameer. Darüber schreibt er jedoch im Brief nichts.
Er endet mit den Worten:
Da mir nichts mehr zu erzählen einfällt, muss ich hier schließen. Ich sende Euch allen meine liebevollsten Grüße. Dein Dich liebender Sohn Willie.
Xxxxxxxxxx an die Mädchen.
39.
Sonntag, 25. April 1915
Rafael de Nogales wird Zeuge der Zerstörung von zwei der größten Heiligtümer der Stadt Van
Morgendämmerung. Er erwacht und liegt in einem Traum aus Daunen und nilgrüner Seide. Der Raum, der ihn umgibt, ist im gleichen Stil eingerichtet wie das luxuriöse Bett: an der Decke eine arabische Lampe mit in Bronze eingefassten Kristallen in verschiedenen Farben, auf dem Fußboden handgeknüpfte Teppiche und ein Gestell mit Zierwaffen aus Damaszener Stahl. Es gibt auch kostbare Figurinen aus Sèvresporzellan. Dies war früher das Zimmer einer Frau, er erkennt es an den Kajalstiften und den karmesinroten Lippenstiften, die achtlos hingeworfen auf einem kleinen Tisch liegen.
In der Ferne hört er, wie die türkische Artillerie zum Leben erwacht. Batterie auf Batterie eröffnet das Feuer. Ihr scharfes Knallen geht ein in die dichter werdende Geräuschwand, bis alles sich anhört wie üblich: Detonationen, Krachen, Einschläge, Getöse, Donnern, Schüsse, spitze Schreie.
Später reitet er los. An diesem Morgen soll er den östlichen Sektor inspizieren.
Rafael de Nogales befindet sich am Rand der alten armenischen Stadt Van, die in einer der nordöstlichen Provinzen des Osmanischen Reiches liegt, ganz nah an Persien und nur hundertfünfzig Kilometer südlich der russischen Grenze. In der Stadt ist ein Aufstand ausgebrochen. De Nogales gehört den Truppen an, die ihn niederschlagen sollen.
Die Lage ist kompliziert. Die armenischen Aufrührer kontrollieren die von einer Mauer umschlossene Altstadt und den Vorort Aikesdan. Die Truppen des türkischen Gouverneurs beherrschen die Zitadelle auf dem Felsen oberhalb der Stadt sowie den Rest des umliegenden bewohnten Gebiets. Und irgendwo im Norden steht ein russisches Armeekorps, vorübergehend zwar am schwer passierbaren Gebirgspass bei Kotur Tepe aufgehalten, aber zumindest theoretisch weniger als einen Tagesmarsch entfernt. Auf beiden Seiten schwankt die Stimmung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Angst und Zuversicht. Die christlichen Armenier haben keine Wahl; sie wissen, dass sie durchhalten müssen, bis das russische Korps eintrifft. Und ihre muslimischen Gegner wissen, dass der Kampf entschieden sein muss, bevor die Russen am Horizont auftauchen und Belagerer und Belagerte die Rollen tauschen.
Dies erklärt zum Teil die außergewöhnliche Brutalität der
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