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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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begraben wurde. Er springt vom Pferd. Mit gezogener Waffe und unter Lebensgefahr sorgt er dafür, dass das Geschütz geborgen wird. Ein Unteroffizier neben ihm wird von einer Kugel im Gesicht getroffen.
    Eine Stunde später befindet er sich oben auf der Brüstung der Zitadelle. Von dort verfolgt er mit seinem Feldstecher den Angriff auf eins der befestigten armenischen Dörfer unmittelbar vor der Stadt. Neben ihm steht Djevded Bey, ein Herr in den Vierzigern, der gern über Literatur plaudert, sich nach der neuesten Pariser Mode kleidet und abends im Anzug mit weißer Krawatte und einer frischen Blume im Knopfloch sein Souper genießt, mit anderen Worten ein offenbar kultivierter Herr. Mit seinen engen Beziehungen zu den Herrschenden in Konstantinopel und seiner Skrupellosigkeit ist er jedoch einer der Urheber der Tragödie. Er verkörpert einen neuen Typ im Bestiarium des neuen Jahrhunderts: den artikulierten und ideologisch geschulten Massenmörder im sauber gebügelten Straßenanzug, der sein Schlachten hinter einem Schreibtisch sitzend betreibt.
    De Nogales steht neben dem Gouverneur und beobachtet, wie das Dorf gestürmt wird. Er sieht, wie dreihundert Kurden zu Pferde den Armeniern die Fluchtwege abschneiden. Er sieht, wie die Kurden die Überlebenden mit Messern töten. Plötzlich zischen neben de Nogales und dem Gouverneur Kugeln durch die Luft. Die Schüsse kommen von einigen Armeniern, die auf die große St.-Paulus-Kathedrale in der Altstadt von Van geklettert sind. Bisher haben beide Seiten dieses alte Heiligtum respektiert, jetzt aber befiehlt der Gouverneur, dass es unter Feuer genommen wird. Nach zweistündigem Beschuss mit Kanonenkugeln stürzt der uralte Dom in einer Staubwolke in sich zusammen. Inzwischen haben armenische Scharfschützen auch das Minarett auf der Großen Moschee erklettert. Diesmal ist der Gouverneur nicht so schnell bereit, den Feuerbefehl zu geben. De Nogales jedoch zögert nicht, sondern erklärt nur: «Krieg ist Krieg.»
    «So wurden im Laufe eines einzigen Tages», berichtet er, «die beiden bedeutendsten Tempel der Stadt Van zerstört, die fast neunhundert Jahre zu ihren berühmtesten Denkmälern gezählt hatten.»
***
    Am selben Tag geht William Henry Dawkins bei Gallipoli an Land.
    Er wacht schon um halb vier am Morgen auf und nimmt ein warmes Bad. Währenddessen fährt das Schiff mit gelöschten Lichtern auf nordöstlichem Kurs. Als die Sonne über dem Horizont aufsteigt, werfen sie den Anker aus: um sie herum die Schatten anderer Schiffe, vor ihnen die langgestreckte Gallipoli-Halbinsel, eine Silhouette in Aquarelltönen. Nach dem Frühstück werden die Vorbereitungen für die Landung getroffen. Inzwischen beginnen die Kanonen der Kriegsschiffe zu dröhnen. Dawkins und seine Männer gehen zunächst an Bord eines Zerstörers, der sie in Küstennähe bringt. Von dort steigen sie auf große hölzerne Schaluppen um, die von Motorbooten gezogen werden.
    Wellen. Früher Morgenhimmel. Lautes Knallen. Er sieht seine ersten Verwundeten. Er sieht Kugeln von explodierenden Granatkartätschen, die herabsprühen und die Wasseroberfläche mit Hunderten kleiner Fontänen perforieren. Er sieht den Strand näherkommen. Er springt aus dem Boot. Er sieht, dass ihm das Wasser bis an die Schenkel reicht. Er hört Gewehrfeuer von jenseits der steilen Uferböschungen. Der Strand ist steinig.
    Um acht Uhr stehen alle seine Männer am Wasser. Mit aufgesteckten Bajonetten. Dawkins notiert in seinem Tagebuch:
     
Wir warten ungefähr eine Stunde am Strand. Der General  33 und sein Stab gehen vorbei. Der Erstgenannte scheint blendender Laune zu sein, was ein gutes Omen ist. Keiner weiß wirklich, was passiert ist. Der Rest unserer Kompanie geht an Land. Mit einer Patrouille arbeite ich mich auf der Suche nach Wasser in südlicher Richtung am Strand entlang. Finde ein wassergefülltes Loch in der Nähe einer türkischen Hütte, wo das Hab und Gut der Bewohner in alle Richtungen verstreut liegt. Überqueren einen Höhenkamm und steigen in eine tiefe Schlucht hinunter, aber Infanteristen hinter uns schreien, und wir müssen umkehren. Schicke eine Gruppe los, um in der Nähe der Hütte einen Brunnen zu graben, eine andere, um in der Schlucht einen Rohrbrunnen zu bohren, und eine weitere, um eine kleine Quelle am Strand zu verbessern. In der Schlucht in der Nähe der Hütte landen Kugelschauer, die zu hoch gegangen sind und ihr Ziel verfehlt haben. Infanteristen auf dem Hügel vor uns rufen uns die ganze

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