Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Fotoapparat der Marke Goerz angeschafft, den er ständig bei sich trägt. Mit großer Genugtuung hat er die guten Nachrichten von der Ostfront vernommen. Die Angst, die ihn in den Kämpfen zu Beginn des Jahres befallen hatte, ist wie fortgeblasen. Der kleine weiße Mischlingshund ist weggelaufen.
Sulzbach befindet sich oft vorn in den Schützengräben, um dem Feuerleitsoldaten der Batterie zu assistieren. So auch jetzt. Die Dunkelheit ist angebrochen. Er sitzt in einem Schutzraum unter der Erde, zusammen mit einem Leutnant der Batterie, als ein älterer Soldat herunterkommt und sagt: «Herr Leutnant, da drüben singt der Franzmann wieder so schön.» Sie steigen hinauf in den Schützengraben. Es ist ein sternenklarer Spätsommerabend. Der laue Wind trägt von den französischen Linien einen Gesang herüber. Ein herrlicher Tenor trägt eine Arie aus Rigoletto vor. Um Sulzbach herum stehen die Soldaten schweigend und lauschen.
Es zeigt sich auffallend wenig Hass in den Schützengräben. Viele sind dagegen schnell bereit, dem Feind Respekt zu zollen, zumindest, wenn er sich als dessen würdig erwiesen hat. Sulzbach hat es vor einigen Tagen selbst gesehen. Bei einem Ausritt – um seinen Freund Kurt Reinhardt zu besuchen, der zu einem anderen Regiment versetzt worden ist – stößt er an einer Straßenkreuzung in der Nähe von Roye auf ein kleines Denkmal, das an Franzosen erinnerte, die bei den Kämpfen im September gefallen waren. Es wurde von deutschen Soldaten aus leeren Granatenhülsen errichtet und mit der Inschrift versehen: «Für mutige französische Soldaten/Gefallen für ihr Vaterland».
Als die letzten Töne der Opernarie verklingen, klatschen alle deutschen Soldaten lebhaft Beifall. Sulzbach schreibt später in sein Tagebuch:
Was für ein Gegensatz! Man beschießt sich, man tötet sich – da fängt auf einmal ein Franzose an zu singen, und aller Krieg ist vergessen bei der Musik, die scheinbar alle Gegensätze überwindet. Das war jedenfalls ein Erlebnis, schöner als es in Worte gekleidet werden kann.
53.
Montag, 23. August 1915
Angus Buchanan bewacht die Eisenbahn bei Maktau
Früher Morgen. In dem starken Monsun, der von Südwesten weht, ist es kalt, wenn man auf Posten steht. Gegen halb sechs beginnt der Morgen zu grauen. Feuchter Nebel steigt auf und umhüllt das flache Buschland, das sich vor ihnen erstreckt. Die Konturen der Landschaft werden schwach, unscharf, verlieren sich. Die Sicht ist gleich null. Alles ist still, bis auf die Geräusche von Perlhühnern, Hornvögeln und anderem Federvieh, das die aufgehende Sonne mit Rufen und Gezwitscher begrüßt.
Buchanan und die anderen stehen vorübergehend hier auf Posten, um die Ugandaeisenbahn zu bewachen, die auf ihrem Weg von Mombasa die Küste hinauf nach Kisumu am Victoriasee an dieser Stelle vorbeiführt. Die Nacht ist ruhig gewesen. Ausnahmsweise, könnte man sagen. In der letzten Woche hat es beinahe täglich Zusammenstöße mit deutschen Patrouillen von der anderen Seite der Grenze gegeben, die den Eisenbahnverkehr zu sabotieren versuchen. Noch gestern gelang es ihnen, an einer Stelle die Schienen zu sprengen, sodass ein Zug entgleiste.
So sieht der Krieg in Ostafrika aus, zumindest derzeit: keine großen Schlachten, sondern Spähtrupps, Scharmützel, Erkundungszüge, mehr oder weniger erfolgreiche Hinterhalte, Nadelstiche über die Grenzen. Die Entfernungen sind enorm. 51 Ungefähr zehntausend bewaffnete Männer suchen einander in einem Gebiet, dessen Fläche Westeuropa entspricht, dessen Kommunikationswege aber praktisch nicht existieren. Das Schwierigste ist nicht, den Feind zu besiegen, sondern ihn zu erreichen. Jede Truppenbewegung erfordert eine Unmenge von Trägern.
Das Klima wie die Natur sind von einer schwindelerregenden Vielfalt. Hier findet sich alles, vom feuchten, tropischen Dschungel und schneebedeckten Gebirgsmassiven bis zu trockenen Savannen und natürlich dem, was man leichthin als Busch bezeichnet, was jedoch sowohl offene, parkähnliche Ebenen als auch dichte, schwer durchdringliche Wälder umfassen kann. Die Kämpfenden bewegen sich außerdem über Grenzen, die in mehrfacher Hinsicht Abstraktionen sind, mit Lineal, Anilinstift und Arroganz an irgendeinem fernen Verhandlungstisch in Europa gezogen, ohne dass auf die Völker, Sprachen und Kulturen oder auch nur auf die natürlichen Grenzen Rücksicht genommen wurde.
Dennoch zeigen die Kämpfe hier – so begrenzt sie auch sein mögen –, dass die
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