Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
Zollgebäude getrieben, wo sie einen halben Tag warten mussten, bis ein Anwalt in hellem Anzug und Panamahut auftauchte, sich auf einen Koffer stellte und eine Rede hielt. Das war alles. Sonst schien sich niemand um sie zu kümmern.
    Es wurde nicht besser, als sich herausstellte, dass ein Teil seiner Papiere irgendwo in der Bürokratie abhanden gekommen war und die Armeefunktionäre sich zunächst weigerten, ihn überhaupt zu registrieren. Er war nicht der Einzige, der kalte Füße bekam. Nicht wenige von denen, die mit ihm auf dem Schiff gewesen waren, hatten ihren Schritt inzwischen bereut und sich entweder wieder von der Truppe entfernt oder auf den Rückweg nach New York gemacht. So schlimm steht es um D’Aquila nicht. Er ist immer noch neugierig darauf, «wie ein richtiger Krieg aussieht». (Auch wenn er im Innersten hofft, dass alles bis zu seinem Eintreffen an der Front vorbei sein wird, sodass er in die USA zurückreisen könnte, ohne für seinen Heldenstatus etwas bezahlt haben zu müssen.)
    Gerade als D’Aquila nach Wochen des Wartens davor war aufzugeben, kam die Nachricht, dass man die fehlenden Unterlagen gefunden habe. Nach einer hastigen ärztlichen Untersuchung wurde er als Infanterist eingeschrieben und in einen Zug nach Piacenza gesetzt, wo er seine militärische Grundausbildung absolvieren sollte. Als der Zug unterwegs an einer kleinen Station anhielt, sah er, wie ein schlichter Sarg mit der Leiche eines gefallenen Soldaten ausgeladen und auf den Bahnsteig gestellt wurde. Die anderen Freiwilligen tranken Wein und sangen obszöne Lieder.
    Auch die Kaserne des 25. Regiments in Piacenza ist nahezu menschenleer. Schließlich finden sie ein paar Männer in Uniform, die nur stumm dasitzen. Sie erklären ihnen voller Stolz, warum sie gekommen sind. Die Soldaten brechen in Hohngelächter aus. Für sie ist es unbegreiflich, geradezu dumm, freiwillig ein friedliches Leben auf der anderen Seite der Welt hinter sich zu lassen, nur um sich in «den Wahnsinn zu stürzen, der die Alte Welt gerade befallen hat». Die Neuankömmlinge werden mit Spott überhäuft, sie seien «Idioten», «Esel», «Dickschädel». Dabei wollen die Soldaten selbst doch am liebsten den Schützengräben entgehen. In ihren Augen sind die Freiwilligen alles andere als willkommen, denn ihre Ankunft hier verlängert nur den ungerechten Krieg und das Leiden.
    D’Aquila ist mehr als ernüchtert. Es regen sich Zweifel in seinem sensiblen Gemüt: «Die pralle Blase der Selbstverherrlichung begann in sich zusammenzufallen.» Gemeinsam mit seinem Freund Frank, einem fröhlichen und etwas naiven jungen Mann, den er auf der Überfahrt kennengelernt hat, begibt er sich wieder hinaus in die Stadt. D’Aquila besucht einen Friseur und wird rasiert. Am Abend kehren sie zur Kaserne zurück. Ein Unteroffizier empfängt sie. Jetzt ist es zu spät, um es sich anders zu überlegen. In dieser Nacht schläft er in einem großen Saal, auf einer mit Stroh gestopften Matratze.

51.
    Donnerstag, 12. August 1915
    Andrej Lobanov-Rostovskij verschläft in der Nähe von Tjapli
     
    Eigentlich hätte der Gefreite sie alle um ein Uhr wecken sollen. Als sie sich mit dem Rest der Kompanie auf dem Bauernhof schlafen legten, wollten sie nur ein paar Stunden im Dunkeln ausruhen. Sie wissen sehr gut, dass die Nachhut den Rückzug gegen zwei Uhr fortsetzen wird, und ab dann wird es nichts mehr geben, das zwischen ihnen und den deutschen Verfolgern steht.
    Nur ein paar Stunden.
    Sie sind müde bis zum Umfallen. Denn während Lobanov-Rostovskij vorher unter dem Nichtstun gelitten hat, macht ihm jetzt das Gegenteil zu schaffen. Die Pionierkompanie ist während des großen Rückzugs voll beschäftigt; wenn sie nicht gerade Brücken sprengt, Häuser in Asche legt oder Eisenbahnlinien zerstört, muss sie verschiedenen Truppenteilen helfen, Schützengräben zu bauen, mit allem, was dazugehört, also nicht nur graben und sprengen, sondern auch das Schussfeld räumen und Sturmhindernisse bauen. Nicht, dass es noch Stacheldraht gegeben hätte, ebenso wenig wie Bretter und Nägel oder auch Munition, aber man kann zumindest Pfähle einrammen, die den Deutschen aus der Entfernung vortäuschen, dass die Stellung massiv ist. In den letzten 48 Stunden hatten sie Schützengräben für ein Infanterieregiment gebaut, die meiste Zeit im Regen, eine entsetzliche Schufterei. Sie waren mit der Stellung gerade fertig, als sie den Befehl erhielten, sie zu verlassen.
    Der Rückzug geht

Weitere Kostenlose Bücher