Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
koloniale Logik, die diese sonderbaren Grenzen einst geschaffen hat, von der durch den Krieg geschaffenen neuen Logik außer Kraft gesetzt wird. Vorbei ist der Herbst 1914, als die lokalen Gouverneure alle Kriegshandlungen zu verhindern suchten. Es half ihnen am Ende nichts mehr, auf alte Abkommen zu verweisen oder zu behaupten, ein Krieg zwischen Weißen müsse unfehlbar ihre Herrschaft über die Schwarzen untergraben. 52 Belgier und Franzosen sind schon in Togo einmarschiert, und besonders die schnellen Erfolge dieser letzten Invasion haben neue Ziele geschaffen: Auch Deutsch-Ostafrika soll jetzt erobert werden. Und genauso, wie die britische Flotte von Anfang an den Erlass der lokalen Kolonialbeamten über einen afrikanischen Frieden ignorierte, setzte sich auch ein Militär der deutschen Seite – der bald schon legendäre Paul von Lettow-Vorbeck – über den Pazifismus der eigenen Zivilverwaltung hinweg, ließ ein Dampfschiff bewaffnen und schickte es auf den Tanganjikasee, um Krieg zu führen, und er hat Vorstöße nach Rhodesien und Britisch-Ostafrika unternommen.
Deshalb haben Angus Buchanan und die anderen Soldaten jetzt eine kalte, schlaflose Nacht auf einem Hügel bei Maktau verbracht. Dort draußen im dunstverhangenen Busch gibt es deutsche Spähtrupps, in dieser Nacht haben sie sich jedoch nicht gezeigt. Aber was heißt hier schon deutsch. Die Offiziere der kleinen Gruppen sind Deutsche, ausgestattet mit all den üblichen Attributen der Kolonialherren, wie helle Uniform, Tropenhelm aus Kork und Befehlston, aber die Soldaten sind sämtlich eingeborene Berufskrieger, Askari , die die gleiche Ausbildung, die gleichen Waffen und das gleiche Vertrauen erhalten haben wie weiße Soldaten, was die britischen Kommandeure für den reinen Wahnsinn halten. Sie wollen es unbedingt vermeiden, die Afrikaner zu bewaffnen, und hoffen indes, den Krieg mit Hilfe von Verbänden aus Südafrika und Indien, weißen Freiwilligen und Einheiten aus Europa bestreiten zu können.
Bisher hat Buchanan von Kämpfen wenig gesehen, außer einer spektakulären Aktion im Juni, an der er und die anderen beteiligt waren. Da griffen sie den kleinen deutschen Hafen Bukoba am jenseitigen Ufer des Tanganjikasees an. Sie brauchten eineinhalb Tage, um den See im Boot zu überqueren, zwei Tage – teilweise bei Gewitter und strömendem Regen –, um die deutschen Verteidiger zu verjagen, und einige Stunden, um die Stadt zu plündern. Militärisch gesehen war die Aktion bedeutungslos. Sie stärkte jedoch die Kampfmoral und machte sich gut in der Zeitung. Wie so viele Aktionen in diesem Krieg zielte sie in erster Linie darauf ab, als Meldung gedruckt zu werden.
Um neun Uhr morgens werden Buchanan und die anderen abgelöst. Sie nehmen ihre Waffen und ihre Ausrüstung und gehen zurück ins Lager. Das Leben dort ist von Routine geprägt. Wecken 5.30 Uhr, Antreten und Krankmeldung 6.30 Uhr, anschließend bis zum Frühstück um 8.00 Uhr Arbeit an der Befestigung und den Schutzvorrichtungen des Lagers. Das Frühstück besteht fast jeden Morgen aus Tee, Brot und Käse. Danach um 9.00 Uhr erneut Antreten und weitere Arbeit an Befestigung und Schutzvorrichtungen. Buchanan schreibt:
Sie arbeiteten drauflos, fluchend und scherzend (ich glaube, dass ein Soldat immer scherzt, sogar, wenn er sich in der Hölle befindet) und schwitzend, und ihre Gesichter und Kleider waren mit dem feinen roten Lavasand bedeckt, der entweder von den geschwungenen Hacken und Spaten aufgewirbelt oder von einer der ständigen Windböen herangetragen wurde.
Gegraben wird bis zum Mittagessen, wo dasselbe serviert wird wie am Morgen, nur statt Käse Kompott. Jetzt steht die Sonne im Zenit des glühenden afrikanischen Himmels, und die Hitze macht jede körperliche Arbeit unmöglich. Manche versuchen, «unter unerträglich heißen Zelttüchern» zu schlafen, während andere ihre Kleidung waschen, nackt baden oder im Schatten Karten spielen. Überall sind Fliegen. Um 16.30 Uhr erneutes Antreten, gefolgt von weiteren eineinhalb Stunden Graben. Das Abendessen wird um 18.00 Uhr serviert und besteht
immer aus schlecht gekochtem Stew, einem Gericht, das furchtbar fade schmeckte; viele Männer ekelte es vor der ungewürzten, unappetitlichen Pampe.
Manchmal wird der Speiseplan mit Hilfe von Paketen aus der Heimat variiert, manchmal mit Fleisch von erlegtem Wild. Und hin und wieder tauchen Händler aus Goa auf, aber ihre Waren sind ausgesprochen teuer, zumindest
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