Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
um Längen. Folglich hat seine Erfindung - nur wenige Jahrhunderte nach der Erfindung des Buchdrucks - eine weitere Beschleunigungsstufe in der Evolution der Meme gezündet. Welche Konsequenzen das hat, darauf werde ich in einem späteren Kapitel eingehen.
Betrachten wir zunächst noch einmal genauer eine Eigenschaft von Memen, die oben bereits erwähnt wurde, die aber so wichtig ist, dass ich sie hier noch einmal ausdrücklich betonen möchte:
Meme werden nur kopiert, wenn wir sie kopieren wollen. Daraus folgt, dass nur solche Meme erfolgreich sind, die uns dazu bringen, dass wir sie kopieren wollen.
Man könnte meinen, diese offensichtlich wahre Aussage sei viel zu trivial, um sich näher damit zu befassen. Doch ihre logische Konsequenz ist gravierend. Sie bedeutet nämlich nichts anderes, als dass sich Meme unabhängig davon entwickeln und ausbreiten, ob das gut für uns ist.
Diese Aussage entspricht der Quintessenz aus Dawkins’ Buch »Das egoistische Gen«: Gene sind nicht eigentlich am Wohl der Körper »interessiert«, in denen sie sich befinden, oder gar am Wohl der ganzen Spezies. Sie haben ausschließlich ein Interesse daran, kopiert zu werden.
Dawkins erklärt sehr ausführlich, warum die Evolution trotzdem dazu führt, dass sich solche Gene durchsetzen, die besonders überlebensfähige Körper erzeugen, und warum diese sogar zu Altruismus und Selbstaufopferung neigen, die oft als »zum Wohle der Spezies« missverstanden werden. Er zeigt aber auch, dass wir eine Menge Gene in uns tragen, die überhaupt nichts zu unserem Überleben beitragen, sondern ausschließlich eigennützig und schmarotzend unsere Gen-Kopierfunktionen ausnutzen, um sich zu verbreiten.
In gleicher Weise gibt es viele Meme, die für das Wohl der menschlichen Spezies sorgen - von der Erfindung von Werkzeugen bis zur modernen Medizin. Es gibt aber auch erfolgreiche Meme, die uns verführen, sie zu verbreiten, ohne dass wir davon einen objektiven Nutzen haben, oder die uns sogar schaden. Beispiele dafür sind die bereits erwähnten »modernen Legenden«, die Behauptung, Spinat enthalte viel Eisen, und viele andere populäre Irrtümer, Lügenmärchen und böse Gerüchte.
Weitaus weniger harmlose Beispiele sind Bauanleitungen für Bomben, die Herstellung von Drogen, der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse oder daran, dass Andersgläubige umgebracht werden sollten, und nicht zuletzt auch Computerviren - eine besonders gefährliche Sorte von Memen, die zwar noch mit Hilfe des Menschen reproduziert, mutiert und selektiert wird, sich jedoch auch unabhängig von Menschen ausbreiten und sogar weiterentwickeln kann.
Aus dem oben erwähnten Satz folgt nicht nur, dass Meme nur eingeschränkt am Wohlergehen des Menschen interessiert sind. Es folgt auch daraus, dass sich die Evolution der Meme unabhängig von der Evolution der Gene vollzieht - dass es zwei Replikatoren auf unserem Planeten gibt, die durchaus in Konkurrenz zueinander stehen können.
Kehren wir noch einmal zu dem einfachen Beispiel des schwarmsuchenden Fischs zurück. Zunächst gibt es hier offensichtlich eine Art Symbiose zwischen Genen und Me-men: Ohne das Imitations-Gen könnte sich das Schwarm-sucher-Mem nicht ausbreiten. Andererseits hilft Letzteres den schwarmsuchenden Fischen zu überleben, und trägt damit dazu bei, dass sich das Imitations-Gen ausbreiten kann.
Was aber wäre, wenn durch genetische Mutation ein Verhaltens-Gen auftaucht, das die Fische zu Einzelgängertum neigen ließe? Es gäbe dann eine Art Wettkampf zwischen dem Schwarmsucher-Mem und dem Einzelgänger-Gen. Einige Fische würden sich nicht an die Anweisung des Imitations-Gens halten, das Schwarmverhalten der anderen zu kopieren. Sie würden stattdessen zu Einzelgängern.
Da es nun mehr Einzelgänger gibt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Jungfisch einen Einzelgänger imitiert. Damit wird das Schwarmsucher-Mem vom Ein-zelgänger-Mem »bedroht«.
In unserem vereinfachten Beispiel haben zwar die Schwarmsucher höhere Überlebenschancen, aber die Überlebenschancen der Einzelgänger sind nicht null. Es wäre möglich, dass sich neue Gene - etwa für eine gute Tarnung - oder neue Meme - etwa für geschicktes Verstecken vor Fressfeinden - entwickeln, die zusammen dazu führen, dass die Einzelgänger auf lange Sicht sogar besser überleben können als die Schwarmsucher. (Wir erinnern uns: In der Natur gibt es nichts umsonst; Schwarmsucher genießen zwar besseren Schutz vor
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