Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Raubfischen, haben aber auch größere Schwierigkeiten, ausreichend Nahrung zu finden.) Vielleicht führt dies am Ende dazu, dass sich die Spezies der Imitationsfische aufspaltet und sich zwei verschiedene Entwicklungslinien bilden, so wie es in der Evolution ständig geschieht.
1.7. Wenn Bäume in den Himmel wachsen
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir gesehen, dass sich die biologische Evolution mehrfach selbst beschleunigt hat. Auch die Abstände zwischen den Durchbrüchen der memetischen Evolution wurden kürzer. Vieles spricht dafür, dass Ray Kurzweil mit seiner These des »steigenden Ertragszuwachses« recht hat.
Kann das wirklich sein? »Bäume wachsen schließlich nicht in den Himmel«, ist ein gern geäußertes Gegenargument, wann immer exponentielle Trends in die Zukunft extrapoliert werden. Irgendwann muss jeder Trend einmal zu Ende sein. Stehen wir möglicherweise gar kurz vor dem »Ende der Wissenschaft«, wie es der Journalist John Horgan formulierte?
Der Trendforscher Matthias Horx spricht in seinem Buch »Technolution« von einem »Beschleunigungsirrtum« und verunglimpft Kurzweils Werk als »hypertechnologische Slash Poetry«. Zwar kann man Kurzweil durchaus vorwerfen, dass in seiner Interpretation der Konsequenzen eine gehörige Portion Phantasie mitspielt und seine optimistische Sichtweise naiv ist. Es bedeutet jedoch nicht, dass die Prämisse des steigenden Ertragszuwachses falsch ist - lediglich Kurzweils wunschgefärbte Schlussfolgerungen daraus sind zweifelhaft.
Horx verweist darauf, die Beschleunigungshypothese hätte »eine lange historische Geschichte, deren Wurzeln bis tief ins 19. Jahrhundert zurückreichen«, und zitiert in seinem Buch diverse falsche Prognosen und nicht eingetretene Utopien. Der damit implizit gezogene Schluss, weil in der Vergangenheit viele Prognosen falsch waren und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts auf bestimmten Gebieten oft überschätzt wurde, müsse das auch für die Beschleunigungsthese gelten, ist allerdings logisch unzulässig.
Tatsächlich lagen die Zukunftsbilder aus vergangenen Zeiten und ihre Utopien zwar sehr oft meilenweit daneben. Aber nicht, weil sie die Veränderungsgeschwindigkeit insgesamt überschätzt hätten, sondern weil sie die falschen Veränderungen voraussagten. So überschätzte man beispielsweise in den sechziger Jahren die Fortschritte bei der Weltraum-Kolonisation oder in der Entwicklung künstlicher Intelligenz, was Horx am Beispiel des berühmten Films »2001 Odyssee im Weltraum« von Stanley Kubrick illustriert.
Tatsächlich spiegelt Kubricks Film ein gutes Bild der Zukunftsvorstellungen der damaligen Zeit wider. Er zeigt auch, welche Entwicklungen damals unterschätzt wurden: So ist das Bildtelefon in »2001« technisch meilenweit hinter den realen Mobiltelefonen jenes Jahres zurück. Der Computer HAL an Bord des Raumschiffs hat zwar ein eigenes Bewusstsein entwickelt, ist jedoch ein zentralistisches, zimmergroßes Gebilde im Zentrum des Schiffs, das der Astronaut Bowman schrittweise einfach abschalten und damit das Problem des mörderischen Systems lösen kann. Tatsächlich gibt es heute vernetzte, dezentrale Systeme wie das Internet, die sich, falls sie jemals einen mörderischen eigenen Willen entwickeln sollten, nicht so einfach abschalten lassen werden (ich habe dieses spekulative Szenario in meinem Thriller »Das System« thematisiert, der auch von Kubricks Film inspiriert wurde). In den sechziger Jahren waren Computer riesige, isolierte Rechenmaschinen, und dies hat man in die Zukunft fortge-schrieben, wobei man die Komplexität menschlicher Intelligenz unterschätzte und somit fälschlich annahm, dass diese im Jahr 2001 simulierbar sei.
Dabei darf man allerdings auch nicht vergessen, dass Kubricks Film Science-Fiction ist und keine realistische Zukunftsprognose - es geht ihm und dem Autor der Romanvorlage, Arthur C. Clarke, nicht um die Darstellung technischer Entwicklung an sich, sondern darum, dass der Mensch durch eine ihm überlegene Technik als nächste Stufe der Evolution abgelöst werden könnte. HALs Mutation zum Wesen mit eigenem Bewusstsein und Willen geschieht im Film allerdings nicht von selbst, sondern durch den Einfluss merkwürdiger Monolithen außerirdischen Ursprungs, die einst auch den Menschen aus dem Tierreich erhoben.
In den sechziger Jahren hat man ebenfalls unterschätzt, was Professor Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz
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