Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
in Saarbrücken, einmal in einem Vortrag als »Ubiquität von Computern« bezeichnete - die Allgegenwärtigkeit von Rechnern, die sich heute bereits in Waschmaschinen, Telefonen, Uhren, Spielzeug etc. befinden und zukünftig vermutlich auch in Schmuck, Kleidung und vielleicht sogar WegwerfVerpackungen. Statt weniger intelligenter Rechner auf menschlichem Niveau, haben wir heute Milliarden Kleinstcomputer, die relativ simple Aufgaben lösen, aber miteinander vernetzt sind und damit ein gigantisches, mitunter chaotisches und unberechenbares System bilden.
Man kann an Kubricks Film das zentrale Problem der Zukunftsforschung erkennen: Sie orientiert sich zwangsläufig immer an der Gegenwart. Die Science-Fiction der sechziger Jahre stand unter dem Einfluss des Wettlaufs zum Mond und der ersten Versuche, künstliche Intelligenz zu entwickeln. Diese Entwicklungen wurden linear fortgeschrieben und führten zu zahllosen Weltraumschlachten und - guten oder bösen, aber immer wie Menschen denkenden - Robotern, die durch die Science-Fiction-Literatur geisterten. Die heutige Science-Fiction ist dagegen von unseren heutigen Problemen geprägt: Virtuelle Realitäten und Endzeit-Szenarien aufgrund von Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch haben die »Space Operas« der sechziger Jahre abgelöst.
Das Argument, Zukunftsprognosen in der Vergangenheit hätten regelmäßig die Entwicklungsgeschwindigkeit der Technik überschätzt, das sich durch Horx’ Buch zieht, ist noch aus einem anderen Grund falsch. Horx greift sich nämlich gezielt die kühnsten und überzogensten Prognosen und technischen Utopien ihrer jeweiligen Zeit heraus, um sein Argument zu untermauern. Diese geben aber keinesfalls zutreffend das Zukunftsbild wieder, das zu der jeweiligen Zeit im Allgemeinen herrschte oder von seriösen Wissenschaftlern propagiert wurde. Man könnte den übertrieben euphorischen Prognosen mindestens ebenso viele prominente Aussagen entgegenstellen, die kommende Veränderungen weit unterschätzten.
In der Science-Fiction (zumindest in ihrer literarisch anspruchsvollen Form) ist Technik niemals der eigentliche Kern der Geschichte. Sie ist immer nur Mittel zum Zweck, um eine Aussage über das Wesen der Menschen zu treffen, ein Was-wäre-wenn-Szenario zu schaffen, das mit heutiger Technik nicht möglich ist. Indem Clarke und Kubrick HAL mit einem eigenen Willen und Mordplänen ausstatten, betrachten sie die menschliche Intelligenz quasi von außen. Science-Fiction-Autoren geht es in aller Regel zwar um Glaubwürdigkeit, aber nicht um eine exakte Vorhersage der zukünftigen Entwicklung. Auch technische Utopien in Magazinen, Werbeprospekten oder auf Postkarten, wie Horx sie zitiert, taugen kaum als Argumentationsbasis, um die These einer sich selbst beschleunigenden technischen Entwicklung in Frage zu stellen.
Horx erwähnt zur Unterstützung seiner Argumentation das »bescheidene« Buch »The End of Science« von John Horgan, das 1996 »fast unbemerkt« erschienen sei. Ob die These eines Journalisten, die Wissenschaft sei an ihr Ende gelangt, »bescheiden« genannt werden kann, sei dahingestellt - »fast unbemerkt« ist ein Bestseller, der in dreizehn Sprachen übersetzt wurde, aber wohl kaum geblieben. Horgans Buch basiert allerdings nicht auf konkreten Fakten, sondern auf Interviews mit führenden Wissenschaftlern, von denen keiner behauptet hat, die Wissenschaft auf seinem Gebiet stünde kurz vor ihrem Ende. Es sind lediglich Horgans persönliche Interpretationen, die diesen Schluss nahelegen. Eine Einzelmeinung auf Basis der Interpretation von Einzelmeinungen anderer also, die von Wissenschaftlern, darunter auch einigen der interviewten, heftig kritisiert wurde. Sie erinnert an das ebenso berühmte wie falsche Zitat des Leiters des amerikanischen Patentamts, der angeblich um 1900 gesagt haben soll, er könne seine Tätigkeit einstellen, da bereits alles erfunden sei (wieder ein Beispiel für ein Mem, das unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt erfolgreich ist).
Schwerer wiegen da schon faktenbasierte Analysen wie etwa die Erkenntnisse Jonathan Huebners. Dieser legt in seinem Aufsatz »A Possible Declining Trend for Worldwide Innovation« (man beachte das Wort »possible« = möglich) dar, dass die Zahl der technischen und wissenschaftlichen Durchbrüche pro Weltbürger sowie die Zahl der Patente pro Einwohner in den USA in den letzten Jahrzehnten abgenommen haben, man daher davon ausgehen könne, auf ein neues »Dunkles Zeitalter«
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