Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
auf das Klima sind gar nicht wir Menschen. Wir geben, wenn wir ausatmen, zwar auch CO 2 an die Umwelt ab, aber in so geringen Mengen, dass es nicht für eine spürbare Klimaveränderung reichen würde, selbst wenn es 20 Milliarden Menschen auf der Welt gäbe. Die wirklichen CO 2 -Produzenten sind Autos, Müllverbrennungsanlagen, Kraftwerke, Fabriken -die »Organe« der Städte.
Wir können natürlich den Städten nicht die »Schuld« an der Klimaveränderung zuschieben. Schließlich produzieren sie das CO 2 ausschließlich für den Menschen, indem sie die Produkte und Energie erzeugen, die wir verlangen. Oder?
Diese Sichtweise stimmt nur teilweise. Denn Städte produzieren diese Dinge in gewisser Hinsicht aus einem ganz eigenen Antrieb heraus: um zu wachsen und sich zu vermehren. Das muss so sein, sonst könnte es sie nach der Evolutionstheorie gar nicht geben. Wir Menschen benutzen die Städte, um uns mit den Dingen zu versorgen, die wir glauben zu brauchen. Aber umgekehrt benutzen uns auch die Städte, um sich mit Rohstoffen zu versorgen und zu wachsen. Wir leben mit ihnen in einer Symbiose, wir sind ein Teil ihres Organismus.
Betrachten wir ein bekanntes Beispiel einer Symbiose in der Natur: Blumen und Bienen. Wer von beiden benutzt wen? Die Bienen trinken den Nektar der Blumen. Als Gegenleistung nehmen sie den Pollen auf, verteilen ihn und sorgen so dafür, dass sich die Blumen vermehren können, wodurch das Angebot an Nektar steigt. Also sind scheinbar die Bienen die beherrschende Lebensform. Immerhin sind sie ja auch deutlich komplexer und - trotz ihres relativ bescheidenen Nervensystems - wesentlich intelligenter als Blumen.
Doch sind nicht eigentlich die Blumen die wahren Herren? Haben sie sich nicht so entwickelt, dass sie für Bienen besonders attraktiv aussehen? »Erkaufen« sie sich mit ihrem Nektar nicht die Funktion des Bestäubens? Üben sie nicht eine enorme Macht über die Bienen aus?
Weder Blumen noch Bienen manipulieren ihren Symbiosepartner bewusst. Sie haben sich im Zuge der Evolution aneinander angepasst, bis sie so weit voneinander abhängig wurden, dass keine Art mehr ohne die andere überleben kann. Gemeinsam jedoch sind sie so stark, dass sie andere Lebensformen, die um die gleichen Ressourcen (Sonnenlicht, Platz zum Wachsen, Nahrung) konkurrieren, verdrängen konnten. Heute stehen etwa 300000 Arten von »Bedecktsamern« (Blütenpflanzen) nur noch etwa 800 Arten von »Nacktsamern«, wie etwa Nadelbäumen, gegenüber.
Wie Richard Dawkins in »The Extended Phenotype« deutlich gemacht hat, überlebt ein Gen genau dann, wenn es seine Umwelt so beeinflusst, dass es kopiert wird. Das gilt nicht nur für den Körper des Lebewesens, in dessen Genom es sich befindet. In den Chromosomen der Bienen gibt es Gene, die das Überleben bestimmter Pflanzen begünstigen und dadurch die Vermehrung ihrer Gene fördern. Das ist das Wesen der Symbiose.
Mit den von Menschen hergestellten Produkten verhält es sich ähnlich. In gewisser Hinsicht sind sie wie Blumen und wir wie die Bienen. Die Produkte locken uns mit nützlichen oder unterhaltsamen Funktionen (Nektar) und raffiniertem Marketing (Blüten). Als Gegenleistung kaufen wir die attraktivsten Produkte und stellen ihnen somit in Form von Geld die Ressourcen zu ihrer Vervielfältigung zur Verfügung - wir bestäuben sie quasi. Produkteigenschaften und Marketing passen sich in einem evolutionären Prozess immer besser an unsere subjektiv empfundenen Bedürfnisse an. Gleichzeitig werden wir immer empfänglicher für die Reize der Produkte. Wir werden immer abhängiger von ihnen. Sie erhalten immer mehr Macht über uns.
Produkte sind die Nährstoffe, mit denen der »Körper« der Stadt seine menschlichen »Zellen« versorgt. Ohne diese Versorgung könnten wir Menschen nicht mehr existieren - jedenfalls nicht in der großen Zahl, die es zurzeit auf der Erde gibt. Mit ihren Produkten zwingt uns die Stadt in gewisser Hinsicht, ihr zu dienen. Wenn wir uns weigern, verhungern wir oder müssen zumindest auf vieles verzichten.
Was wäre, wenn Bienen intelligent wären, einen eigenen Willen hätten? Würden sie darüber nachdenken, wie sie der verführerischen Macht der Blumen entkommen, wie sie die Abhängigkeit überwinden können? Sehr wahrscheinlich nicht. Sie würden Blumen lieben, Gedichte über ihre Schönheit schreiben. Sie würden prächtige Gärten anlegen, gefüllt mit ihren Lieblingsblumen. Sie würden sie vor »Schädlingen« schützen und
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