Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
»Unkraut« jäten. Sie würden dafür sorgen, dass die von ihnen bevorzugten Blumensorten sich immer weiter ausbreiten, und so ihre Nahrungsversorgung verbessern. Am Ende gäbe es sehr viel mehr Bienenvölker auf der Welt - und sehr viel mehr Blumen.
De facto würde also die Intelligenz der Bienen der Vermehrung der Blumen zugutekommen. So ist das in jeder Symbiose: Die Stärke des einen Partners ist auch die Stärke des anderen.
Nehmen wir an, die unkontrollierte Vermehrung bestimmter Blumensorten durch intelligente Bienen führte zu einer ökologischen Katastrophe. Wer wäre dann daran »schuld« - Blumen oder Bienen? Die Bienen, wird man vielleicht argumentieren, immerhin sind sie in dem Gedankenspiel ja intelligent und hätten die Katastrophe verhin-dern können. Aber könnten sie das wirklich? Könnten sie sich bewusst dagegen entscheiden, Blumen zu lieben und sich vermehren zu wollen? Vielleicht, aber es wäre sicher außerordentlich schwierig für sie.
Genau darum geht es in diesem Buch. Wir Menschen können uns natürlich nicht von unserer Verantwortung gegenüber der Umwelt reinwaschen - das wäre absurd. Aber wir müssen uns bewusst werden, warum es nicht so einfach ist, sich gegen Umweltverschmutzung zu entscheiden: weil wir nicht die einzige »Interessengruppe« in diesem Zusammenhang sind. Weil es Städte gibt, die wachsen »wollen« und denen die Umwelt per se egal ist. Weil es Produkte (eigentlich Meme für die Herstellung der Produkte) gibt, die kopiert werden »wollen« und uns manipulieren, damit wir sie vermehren - genau wie Blumen Bienen manipulieren.
Wenn man in der Praxis sehen will, wie das funktioniert, muss man nur in den Supermarkt um die Ecke gehen.
2.2. Darwin im Supermarkt
Professor Weisenberg stand auf, holte eine Tafel Schokolade aus seiner Schreibtischschublade und legte sie auf den Konferenztisch. »Jetzt gehen Sie mal in einen großen Supermarkt«, sagte er. »Dort sehen Sie, wie Evolution in der Wirtschaft funktioniert. Zehntausend Produkte konkurrieren da um Ihre Aufmerksamkeit und versuchen, mit subtilen und weniger subtilen Methoden Ihr Verhalten zu beeinflussen. Ich habe das mal nachgezählt: Da, wo ich diese Schokolade gekauft habe, in einem mittelgroßen Supermarkt, gibt es einhundertvierundfünfzig verschiedene Sorten von siebzehn Herstellern. Allein sechsundzwanzig verschiedene Tafeln Vollmilchschokolade, von denen jede einzelne wahrscheinlich kein bisschen anders schmeckt als diese hier. Einhundertvierundfünfzig Sorten! Wer braucht so viel Auswahl? Niemand! Die Leute stehen ratlos vor den Regalen, und am Ende fallen sie den Lockungen der Werbung zum Opfer.
Der einzige Grund, weshalb es so viele verschiedene Schokoladensorten gibt, ist das Evolutionsprinzip. Die Hersteller konkurrieren um die Kunden. Sie probieren verschiedene Geschmacksrichtungen, verschiedene Verpackungsgestaltungen, verschiedene Preise, verschiedene Marketingstrategien aus. Das, was funktioniert, wird kopiert und dann weiter verbessert. Reproduktion, Mutation, Selektion, bis in alle Ewigkeit. Am Ende haben wir mehr Schokolade, als wir jemals essen können. Und brauchen wir diese Schokolade? Hat vielleicht irgendjemand beschlossen, dass es gut für die Menschheit wäre, mehr Schokolade zu essen? Sicher nicht! Der volkswirtschaftliche Schaden im Gesundheitssystem, der durch zu viel Zucker entsteht, ist viel größer als der Gesamtumsatz der Schokoladenindustrie!«
Mark starrte die Tafel an, als könne sie ihn jeden Moment anspringen und erwürgen. Konnte es sein, dass Weisenberg recht hatte? »Zugegeben, zu viel Schokolade ist ungesund«, sagte er. »Aber die Menschen wollen sie nun mal. Und es ist eine bewusste Entscheidung der Schokofabriken, welche herzustellen. Wir könnten ja jederzeit einfach damit aufhören.«
»Ach ja? Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie, ein Fabrikvorstand könnte einfach beschließen, keine Schokolade mehr herzustellen? Seine Firma wäre bald pleite. Sehr wahrscheinlich würden ihn die Aktionäre vorher einfach absetzen und einen anderen Vorstand holen, der dafür sorgt, dass weiter Schokolade produziert wird. Genauso, wie die Bienen nicht einfach beschließen können, nicht mehr auf die Lockungen der Blumen hereinzufallen, können wir nicht aufhören, Produkte zu kaufen, Autos zu fahren, das Internet zu benutzen, uns immer neue Dinge auszudenken. Die Evolution benutzt uns, ob wir wollen oder nicht. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. Wir sind ihre
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