Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
einfach verschiedene Schokoladensorten mit geringfügigen geschmacklichen Varianten um die Gunst des Verbrauchers buhlen. Aber dem ist nicht so. Im Gegenteil: Die Schokoladenrezepte fahren ein ganzes Arsenal raffinierter Tricks auf, um die Kunden für sich zu gewinnen und damit ihre Regalfläche auszubauen.
Es geht damit los, dass die Rezepte die Verkaufsverantwortlichen der Schokoladenfabrik dazu bringen, dem Händler Geld zu bezahlen, damit er der Schokolade mehr Regalplatz zur Verfügung stellt. Solche sogenannten Werbekostenzuschüsse sind im Handel an der Tagesordnung. Wenn ein Schokoladenhersteller ein neues Produkt im Handel einführen will, dessen Verkaufserfolg noch unsicher ist, muss er einen Teil des Risikos übernehmen.
Augenblick, stand da wirklich »dass die Rezepte die Verkaufsverantwortlichen der Schokoladenfabrik dazu bringen, dem Händler Geld zu bezahlen«? Das ist natürlich kein aus Sicht der Rezepte irgendwie bewusster Vorgang. Die Initiative geht innerhalb der Schokoladenfabrik von den Produktentwicklern aus, die das Rezept »erfunden« haben. Sie übernehmen quasi die Rolle eines Anwalts für dieses spezielle Mem. Es musste ja bereits in der Produktentwicklung eine lange Reihe von Selektionsprozessen überstehen - Verkostungen, Verbrauchertests, Produktionstestläufe. Nun, da es marktreif ist, geht es eine
Symbiose mit den Menschen ein, die es entwickelt haben.
Wenn das Rezept erfolgreich ist, ist das gut für die Produktentwickler. Sie werden gelobt, erhalten vielleicht eine Gehaltserhöhung oder freuen sich einfach über den Erfolg »ihres Babys«. Damit es ein Erfolg wird, müssen die Produktentwickler die Verkäufer davon überzeugen, möglichst viel für den Abverkauf im Handel zu tun. Dabei konkurrieren sie unter Umständen mit anderen Produkt-Memen, die in anderen Abteilungen entwickelt wurden. Beispielsweise konkurriert in einer Schokoladenfabrik Tafelschokolade mit Schokoriegeln um Werbe- und Verkaufsförderungsbudgets.
Ein weiteres wichtiges Verkaufsförderungsinstrument ist die Verpackung der Schokolade. Sie erfüllt eine ähnliche Funktion wie die Blüte einer Blume: Sie soll Kunden anlocken. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man hier eine interessante Symbiose zwischen verschiedenen Memen. Schokoladenrezept-Meme verbünden sich mit Gestaltungs-Memen, um gemeinsam eine möglichst große Kundenzahl zum Kauf zu bewegen und so ihr eigenes Überleben zu sichern. Gelingt dies, können sich die Gestaltungs-Meme vielleicht sogar in andere »Lebensräume« ausbreiten, beispielsweise auf die Gestaltung von Bonbontüten. Erweist sich zum Beispiel ein lachendes Kindergesicht auf einer Schokoladenverpackung als vorteilhaft, wird man es bald auch auf anderen Produkten finden.
Hierbei nutzen die Gestaltungs-Meme übrigens schamlos den genetisch bedingten Mutterinstinkt aus, der Frauen dazu bringt, beim Anblick eines Kindergesichts positive Gefühle zu entwickeln. Man kann hier allerdings nicht von einer Symbiose der Meme mit den betreffenden MutterGenen sprechen, da der Kauf der Schokolade praktisch keine positiven Auswirkungen auf die Verbreitung der Gene hat. Ein anderes, weitverbreitetes Beispiel für derartiges Trittbrettfahrertum bei Memen ist das allzeit gültige Werbemotto »Sex sells«.
Na und, könnten skeptische Leser einwenden. Dass die Werbung unsere niederen Instinkte ausnutzt, ist nun wahrlich nichts Neues. Ob man Rezepte nun als »Meme« bezeichnet oder nicht, ist doch egal. Was ist denn nun eigentlich der Punkt?
Der Punkt ist, dass wir nicht das kaufen, was wir brauchen, sondern die Produkte, deren Meme uns dazu gebracht haben, sie zu kaufen. Ob diese Produkte nützlich für uns sind, spielt dabei zwar auch eine Rolle, ist aber bei Weitem nicht das einzige Kaufkriterium.
Der Einzelhandel geht davon aus, dass 60 Prozent der Käufe in Supermärkten Spontankäufe sind, also Produkte, die nicht von vornherein auf einer Einkaufsliste standen.
Stellen Sie einmal eine Liste der Dinge zusammen, für die Sie in den letzten 14 Tagen Geld ausgegeben haben. Bewerten Sie diese Liste nach drei Kriterien:
- Habe ich das Produkt gekauft, weil ich gezielt danach gesucht habe, oder war der Kauf im Grunde spontan und ungeplant?
- Wie bin ich auf das Produkt gestoßen? Welche Rolle haben Werbung, Regalplatzierung und Verpackungsgestaltung dabei gespielt?
- Brauche ich das Produkt überhaupt? Bietet es mir tatsächlich einen Nutzen, der das Geld wert ist, oder ist der
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