Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
der Evolution unterliegt. Dass das tatsächlich der Fall ist, wissen Sprachforscher seit langem. Bereits im frühen 19. Jahrhundert versuchten sie zu rekonstruieren, wie sich die verschiedenen Sprachen der Menschen aus einer gemeinsamen, hypothetischen »Ursprache« entwickelt haben. Manche Sprachen ähneln einander stärker als andere, scheinen also miteinander »verwandt« zu sein. Aus diesem Verwandtschaftsgrad lässt sich ein Stammbaum der Sprachen rekonstruieren. Beispielsweise gehören die meisten europäischen Sprachen zur indogermanischen Sprachfamilie. Demnach sind Indisch und Persisch mit dem Deutschen wesentlich enger verwandt als beispielsweise das afrikanische Suaheli.
Man muss allerdings berücksichtigen, dass sich, anders als in der biologischen Evolution, auch nichtverwandte Sprachen durchdringen und beeinflussen können. So finden wir heute in der deutschen Sprache Lehnwörter, die ihren Ursprung nicht nur im lateinischen und englischen, sondern auch im arabischen und asiatischen Sprachraum haben (beispielsweise Begriffe wie Karaffe, Matratze, Ketchup, Kamikaze, Mikado, Sushi, Yoga, Manga etc.).
Als Darwin seine »Entstehung der Arten« veröffentlichte, wurde seine Theorie von den Sprachforschern begeistert aufgenommen. Es ist umgekehrt gut möglich, dass auch die damalige Diskussion über die Entwicklung der Sprachen Darwins Denken beeinflusst hat.
An der Entwicklung der Sprachen kann man die Evolution der Meme sehr schön in der Praxis beobachten. Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum isoliert sind, mutiert ihre Sprache, und sie bilden einen eigenen Dialekt, der sich im Laufe der Zeit immer weiter von der ursprünglichen Sprache entfernt. So ist es zu erklären, dass es beispielsweise im Inselreich Vanuatu 115 verschiedene Sprachen gibt, die im Durchschnitt nur von je ca. 1000 Menschen gesprochen werden.
Umgekehrt findet natürlich auch Vermischung von Sprachen statt. So ist im Deutschen eine immer stärkere Durchdringung mit dem Englischen zu beobachten, die von den Bewahrern der deutschen Kultur verächtlich »Denglisch« genannt wird. Worte wie »Computer«, »Software«, »Meeting« oder »Discount« gehören längst zu unserem täglichen Sprachgebrauch. Selbst amerikanische Kunstworte wie »googeln« stehen inzwischen im Duden. Als Unternehmensberater muss ich leider selbst eine gewisse Neigung einräumen, englische Fachbegriffe ohne langes Nachdenken zu verwenden. Der Effekt dieser Vermischung ist, dass sich neue Sprachen verstärkt in Lebensräumen ausbreiten können, die sie bisher nicht erreichen konnten, und die dort heimischen Sprachen verdrängen. So befürchtet die Gesellschaft für bedrohte Sprachen, dass ein Drittel der etwa 6500 heute benutzten Sprachen bis zum Ende des Jahrhunderts ausgestorben sein könnte.
Stammbaum des indogermanischen Sprachstramms (vereinfachte Darstellung)
Man kann sich darüber ärgern und versuchen, den Trend aufzuhalten, doch gegen die Evolution kämpfen selbst Götter vergebens, wie wir noch sehen werden. Das Internet führt dazu, dass die Völker der Welt sprachlich zusammenwachsen. Es ist nicht zu verhindern, dass dies zum Aussterben alter Sprachen führt und dem Englischen, der »Muttersprache« des Internets, mehr Einfluss verleiht.
Interessanterweise führt das Internet aber auch zur Entstehung von neuen Dialekten und sprachlichen Ausdrucksformen, die sich im Unterschied zur gesprochenen Sprache nicht regional, sondern global in gewissen Interessen- und Lebensstil-Gruppen ausbreiten. Die sogenannten Emoticons, wie etwa das bekannte Lächeln :-), kann man beispielsweise als eigene schriftsprachliche Ausdrucksform ansehen. Abkürzungen wie »ROFL« (Rolling on the floor laughing, »Ich lach mich kaputt«) oder
»IMHO« (In my humble opinion, »Meiner bescheidenen Meinung nach«) haben sich in der Umgangssprache der Internet-Chatrooms gebildet.
Die Hackersprache Leet, abgeleitet vom Wort »Elite«, ist eine Art Code, bei dem normale Sprache in eine neue Schreibweise übersetzt wird. Dabei orientieren sich die verwendeten Zeichen an der optischen Ähnlichkeit. Anstelle eines T wird beispielsweise ein + verwendet, aus E wird durch Spiegelung eine 3. Das Wort »Leet« könnte man also zum Beispiel als »133 + « schreiben. Aus »Sprache« wird dann »5|°|24(|-|3«, wobei das R aus den Zeichen | und 2 zusammengesetzt ist.
Es scheint also eine Art Divergenzdruck zu geben -Gruppen von Menschen haben einerseits das Bedürfnis, untereinander
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