Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
einen Punkt, an dem er scheinbar sicher verloren hat und das Böse triumphiert. Doch durch ein großes Opfer oder die Überwindung eines besonderen inneren Widerstands kann der Held das Blatt wenden und die Mission erfüllen.
»Die Heimkehr« - Der siegreiche Held kehrt durch das Tor in die normale Welt zurück. Oft bringt er dabei einen magischen Gegenstand oder eine besondere Fähigkeit mit, die ihn zu einem Wohltäter der zurückgebliebenen Menschen macht.
Tatsächlich finden sich diese Elemente mehr oder weniger offensichtlich in sehr vielen Geschichten wieder, von den griechischen Mythen bis zu deutschen Heldensagen wie »Siegfried«. Auch in modernen Werken trifft man auf diese Struktur, von Tolkiens »Herr der Ringe« bis zu Joanne K. Rowlings »Harry Potter«. Es ist beispielsweise bekannt, dass George Lucas das Drehbuch zu »Star Wars« gezielt nach Joseph Campbells Monomythos aufbaute. In James N. Freys Schreibratgeber »The Key« und vielen anderen Büchern finden Autoren eine praktische Anleitung, wie sie Campbells Monomythos in ihren eigenen Romanen verwenden können. Auch ich selbst wende diese Technik beim Romanschreiben an, wenn ich auch meist nicht bewusst darüber nachdenke.
Campbell hat den Monomythos mit Jungs psychologischen Theorien erklärt. Er glaubte, dass der menschliche Geist so eingerichtet sei, dass er für genau diese Form von Geschichten besonders empfänglich ist, weil die einzelnen Stufen des Mythos die Transformation des Menschen vom Kind zum Erwachsenen widerspiegeln. Diese Erklärung ist umstritten; Kritiker argumentieren, dass Campbell sich bei der Analyse der weltweiten Mythen die passenden Teile herausgesucht und unpassende einfach ignoriert hat. Doch die Ähnlichkeiten, die Campbell herausgearbeitet hat, sind unzweifelhaft vorhanden, und die Bestsellerlisten zeigen, dass Geschichten, die Campbells Muster folgen, sehr erfolgreich sind.
Egal wie man diesen Umstand erklärt: Es ist offensichtlich, dass der Monomythos ein besonders erfolgreiches Mem ist. Wir folgen nun einmal gern Geschichten, bei denen ein herausragender Held aus dem täglichen Leben gerissen wird, sich Gefahren und bösen Mächten stellen muss, dabei an seine eigenen Grenzen geführt wird, am Ende diese Grenzen überwindet und gestärkt nach Hause zurückkehrt. Ob er dabei einen Mörder überführen, die Liebe seines Lebens erringen oder die Welt retten muss, ist zweitrangig. Wir finden das »spannend« - was nichts anderes bedeutet, als dass wir besonders konzentriert und aufmerksam sind. Am Ende reden wir mit anderen über die Geschichte und tragen sie so weiter.
Spielt auch bei der Entwicklung solcher Geschichten die Evolution eine Rolle? Die Frage ist einfach zu beantworten. Wir müssen nur klären, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind: Reproduktion, Mutation und Selektion.
Geschichten werden weitererzählt und aufgeschrieben, also reproduziert. Sie mutieren - jeder Erzähler fügt hier ein Detail hinzu, lässt da etwas weg. Ein Autor, der einen Spannungsroman schreibt, verwendet bewusst oder unbewusst Elemente, die er in anderen Romanen gelesen hat. Er fügt eigene Ideen hinzu, doch egal wie phantasiereich er auch ist - in jedem Fall ist sein Buch heutzutage »nur« eine Variante der Geschichten, die schon die alten Griechen aufgeschrieben haben. Wie Geschichten selektiert werden, kann man in jeder Buchhandlung beobachten und an den Bestsellerlisten ablesen.
Falls Sie bis jetzt noch nicht davon überzeugt sind, dass die Evolution ein universeller Prozess ist, könnten Sie einwenden: Ein Autor mag eine bekannte Geschichte variieren, doch das ist von vorn bis hinten ein bewusster, gezielter Vorgang. Der Zufall spielt dabei keine Rolle. Anders als bei der Produktentwicklung muss der Autor nicht mit »Versuch und Irrtum« herausfinden, wie seine Geschichte verlaufen wird. Er kann es einfach festlegen.
Das könnte man glauben, aber tatsächlich ist es nicht so. Die meisten Autoren planen zwar eine Geschichte, bevor sie beginnen zu schreiben - manche sogar sehr detailliert auf Dutzenden von Seiten. Doch dieser Planungsprozess gleicht mehr einem Suchen nach den richtigen Ideen als einer technischen Konstruktion, wie etwa dem Entwurf einer Brücke. Ähnlich wie beim Erfinden einer technischen Lösung probiert der Autor im Kopf verschiedene »Problemlösungen«, bis er die passende gefunden hat. Der Literaturagent Albert Zuckerman hat dies am Beispiel von Ken Folletts Roman »Der Mann aus Sankt
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