Schokoherz
Sie schon, in Gottes Namen. Aber Denise wird nicht ewig beim Chef sein. Zwanzig Minuten maximal.«
Das musste ich mir nicht zweimal sagen lassen. Mit einer eindeutigen Kopfbewegung in Richtung Pete und Louise machte ich mich davon, um uns in der Cafeteria im Erdgeschoss einen guten Tisch zu sichern. Jetzt am frühen Vormittag konnten einen die auf Marmorplatten angerichteten, preislich völlig akzeptablen belegten Brötchen und Quichestücke noch in Versuchung führen. Bis zur Mittagspause wirkte die Auslage dann ähnlich zerrupft wie die Daily News selbst. Ich schenkte dem Essen jedoch keine Beachtung, sondern steuerte schnurstracks auf den besten Tisch mit Flussblick zu. Die Themse hat etwas Faszinierendes, dachte ich, während ich aufs karamellbraune Wasser starrte, dasin kleinen Wellen ans gegenüberliegende Kiesufer schwappte. Ein Polizeiboot sauste vorbei. Seine beachtliche Bugwelle klatschte mit Schwung an die Flussmauern. Aber London würde dem standhalten. Das tat es immer. Als ich mich abwandte, entdeckte ich Pete und Louise, die sich wie immer zankten. Er wollte ihr wohl die Tür aufhalten, während sie darauf bestand, sie selbst aufzustoßen.
»He, ihr zwei! Vergeudet nicht unsere kostbare Zeit. Kommt schon, was gibt's Neues? Ich hab euch seit Monaten nicht mehr gesehen!«, rief ich ihnen zu. Das stimmte. Obwohl wir so eng befreundet waren, hatten weder Pete noch Louise mich und meinen jüngsten Nachwuchs, die kleine Maddie, besucht. Sie waren einfach noch nicht bereit für Babys. Pete war ungefähr so bindungswillig wie »Der Unsichtbare«, und Louise war entweder bei der Arbeit oder mit irgendwelchen nicht jugendfreien sexuellen Aktivitäten beschäftigt. Wir hatten natürlich dauernd telefoniert, aber irgendwie hatte keiner der beiden die Ankunft von Gemma der Schreckschraube erwähnt. Vermutlich wollten sie verhindern, dass meine Milch sauer wurde. Trotzdem hatte ich das Gefühl, irgendwie nicht mehr am Ball und, ich gebe es ja zu, ein bisschen außen vor zu sein. Aber jetzt würden sie mir alles haarklein erzählen müssen.
Louise eilte herbei, so schnell es ihr Mini zuließ, der wirklich mehr mit einem Gürtel als mit einem Rock gemeinsam hatte. Die Eleganz, mit der sie ihre langen Beine unter den Tisch schwang, war ihr wohl selbst nicht bewusst. Pete, der ihr brav hinterhergedackelt war, sah ihr wie gebannt zu. Dann schüttelte er sichmerklich aus seinem Trancezustand. »Ich hol dann wohl mal den Kaffee, was?«, fragte er kleinlaut. Wir nickten beide.
»Also, schieß los. Diese Gemma, ist sie so schlimm wie –«
»Bella, um ehrlich zu sein, die Sache ist die ...« Louise wand sich auf ihrem Stuhl. Sofort sah ich, warum: Die Tür ging auf und herein kam Gemma. Sie runzelte die Stirn, als sei sie kurzsichtig, und ließ den Blick durch die Cafeteria schweifen.
»Wie konntet ihr nur?«, zischte ich Louise zu, während ich Gemma fröhlich winkte. Sie sah mich, verzog das Gesicht und marschierte dann direkt auf uns zu. So viel zum Thema gemütlicher Plausch unter Freunden.
Gemma setzte sich mir gegenüber neben Louise und platzierte ihre knochigen Ellbogen auf der Tischplatte. Ihr tintenschwarzer Blick durchbohrte mich. »Was habe ich da gehört? Du hast ein Interview mit Jane Champion?«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Sind die Neuigkeiten schon bis zu dir vorgedrungen?«, fragte ich lächelnd. Ich gebe ja zu, dass ich ganz schön stolz auf diese Sache war. »Sie und ich, wir kennen uns schon ewig. Weißt du, das ist eben der Vorteil, wenn man lange bei der Zeitung ist. Dann hat man einfach seine Kontakte.« Das klang ein bisschen so, als warte das ganze Kabinett den lieben langen Tag nur auf meinen Anruf. Außerdem erwähnte ich auch nicht, dass Jane Champions Pressesprecherin mir gerade mal zehn Minuten zwischen zwei Meetings zugebilligt hatte, aus denen durchaus fünf Minuten oder gar nichts werden konnte, falls eines davon länger dau erte. Egal,mein erstes Interview mit ihr damals gehörte zu den besten meiner Karriere – ich hatte Tom damit zu Beginn unserer wilden Affäre beeindrucken wollen. Außerdem war Mrs Champion durchaus eine faszinierende Person: einerseits ganz moderne Karrierefrau, andererseits absolut unantastbare religiöse Grundsätze. Wenn sie mir am Montag nur wenig ihrer plötzlich so kostbaren Zeit widmen konnte, würde ich einfach das alte Interview mit Hilfe von Google und einigen neuen Schnipseln aufpolieren. In der Tat hätte ich einen durchaus lesbaren Artikel
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