Schokoherz
schreiben können, ohne Jane Champion noch einmal persönlich zu treffen. Dachte ich zumindest.
Ich strahlte Gemma an. Schließlich war selbst aufgesetzte Fröhlichkeit der beste Schutzpanzer gegen Gemeinheit. Da ich mit einem neuen Angriff rechnete, überlegte ich mir, was wohl ihr nächster Schachzug sein würde. Doch fernab von ihrem Schreibtisch und besonders von ihrer Mutter wirkte Gemma irgendwie kleiner, unbedeutender – und fast ein wenig unsicher. Nach einer unangenehmen Pause gab ich nach.
»Und, Gemma, macht dir die Arbeit bei uns Spaß?« Das ist meine übliche Taktik: im Notfall immer selbst die Fragen stellen.
Gemma spielte mit den Zuckerpäckchen in der Schale herum. Ihre Nägel waren bis zum Ansatz abgeknabbert. Gegen meinen Willen tat mir das Mädchen langsam leid. Schließlich hatte sie Denise Crampton zur Mutter. Die Arme! Wie gruselig das zu Schulzeiten gewesen sein musste, als Gemma noch zu Hause wohnte und schon morgens über die Cornflakes-Packung hinweg Denise erblickte …
»Dasist doch bestimmt eigenartig, deine Mutter wieder so viel zu sehen, oder? Wie lange bist du schon von zu Hause weg? Fünf, nein, zehn Jahre?« Louise schien mir etwas signalisieren zu wollen. Sie hatte ihre großen blauen Augen noch weiter aufgerissen und zuckte so komisch mit dem Kopf. »Was ist los, Lou? Fehlt dir wieder ein Ohrring?« Louise verlor ständig ihre Hula-Hoop-großen, geschmacklosen Zigeunerohrringe.
Gemma sah prüfend zu ihr hinüber. »Ach, ich glaube, sie will dich bloß warnen. Damit du die Klappe hältst. Ich wohne nämlich immer noch zu Hause bei meiner Mutter.«
»Ach was?« Ich war völlig baff.
»Ja. Und wenn du die Zeitung lesen würdest, für die du arbeitest, dann wüsstest du das. Ich habe letzte Woche einen Artikel über die Vorzüge des Nesthockertums geschrieben.« Nun war Gemma an der Reihe, mich triumphierend anzulächeln. Als ich noch nach einer Erwiderung suchte, die nicht sofort an Mami weitergetragen werden konnte, tauchte Pete mit einem Tablett voll Kaffeetassen auf. Mein Retter! Wie immer. Er verteilte die Snacks. Ein KitKat für mich – diese elegante weiß-rote Art-déco-Verpackung würde ich sogar ohne den Schokoladeninhalt lieben. Aber was die Qualität der Schokolade angeht, steht dieser Riegel definitiv nicht ganz oben in der Nahrungskette. Lou bekam einen dieser ekligen Müsliriegel, Gemma das Gleiche, und für sich selbst hatte er eine Packung Doppeldeckerkekse mitgebracht. Dann schob er jedem seinen Kaffeebecher hin. Überrascht blickte ich in meinen.
»Pete,hast du vergessen, dass ich meinen Kaffee schwarz trinke?«
Er sprang sofort auf. »O Gott, Bella, das tut mir so leid. Ich hol dir einen neuen.«
»Nein, lass nur ...«, widersprach ich halbherzig. Er zögerte einen Moment lang, schlich dann aber doch davon, um neuen Kaffee zu organisieren. Mir war elend. In mein leeres Nest war ein freches kleines Kuckuckskind eingezogen, und selbst der treue Pete hatte meine Kaffeevorlieben vergessen. Ich war zu lange weg gewesen
Während ich auf die zweite Runde wartete, riss ich die Plastikverpackung des KitKats auf, fuhr mit dem Finger die Folie entlang und brach das erste Stück ab. Wie immer löste ich mit den Zähnen zuerst die Schokoschicht oben ab, bis ich auf Keks stieß, und knabberte mich dann weiter nach unten. Als ich gerade den letzten Bissen in den Mund schob, spürte ich Gemmas Blick auf mir.
»Is' was?«, fragte ich mit vollem Mund.
»Nein. Nur, dass ...«
»Sprich's ruhig aus«, ermunterte ich sie, obwohl mir klar war, dass mir nicht gefallen würde, was ich gleich horen wurde.
»Nun ja, Mum hat schon gesagt, dass du ... enorm viel Schokolade isst«, stellte sie fest.
»Ach, hat sie das, ja?« Mein Tonfall war täuschend sanft.
»Ja, sie meinte, du wärst genau wie diese alte Comicfigur – wie hieß der doch noch gleich?« Bevor mir noch Wonder Woman oder Ähnliches einfiel, ließ Gemma die Bombe platzen: »Billy Bunter, das war's! Außer natürlich,dass du ein Mädchen bist«, fügte sie mit einem süffisanten Lächeln hinzu. »Oder eine Frau vielmehr.«
Mir blieben die letzten KitKat-Krümel im Hals stecken. Billy Bunter! Jetzt war sie aber wirklich zu weit gegangen. Während ich noch an einem Gegenschlag herumformulierte, der weniger als vierhundert Schimpfworte enthielt, schaltete sich Louise zu meiner Verteidigung ein.
»Gemma, das ist aber wirklich unfair. Billy Bunter isst Brötchen und Torten. Das tut Bella nicht.«
»Vielen Dank,
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