Schokoherz
mir das gelungen war, obwohl ich von Schokolade umgeben lebte. Trotz der ständigen Versuchung war ich im Laden so beschäftigt, wie ich es mir während meiner gemütlichen Zeit bei den News nie hätte vorstellen können. Da hatte ich mir stets Lous penetrantes Quengeln anhören müssen, dass ich die Schokolade endlich aufgeben sollte – und dann nahm ich ab, sobald ich allem bis auf Schokolade entsagt hatte. Und sogar ohne blöden Sport mit Jo Pounce! Jetzt blieb jedoch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn ich wollte meine alten Freunde in Augenschein nehmen. Lou sah wie immer umwerfend aus: Ihr Brustansatz so fest, als sei er aus Hartgummi, und ihre Oberschenkel, die unter einem schmalen Streifen Rock herausschauten, hatten genau die gleiche Länge, Dicke und goldbraune Farbe wie frisch gebackene Baguettes. Ihr perfekter englischer Teint strahlte rosig. Und Pete schien für diesen Anlass sogar mal seine Brille geputzt zu haben. Dafür war er noch viel tollpatschiger als sonst: Beinahe hätte er sich auf Olivers Fuß gesetzt und dabei auch noch Maddies Hochstuhl umgeworfen.
»Vorsicht, die haben nur einen von der Sorte. Ich bezweifle, dass vorher jemals ein Baby in diesem Restaurant war«, mahnte ich und fing den Hochstuhl gerade noch rechtzeitig auf. Wenn es nicht Pete gewesen wäre,hätte ich fast den Eindruck gehabt, er sei nervös. Mir fiel auf, dass sich Lou ein gutes Stück von den Kindern entfernt hinsetzte und die beiden vorsichtig musterte, während sie ihre neue Wildlederhandtasche so platzierte,dass Maddies neugierige Butterfinger sie nicht erreichen konnten.
»Stimmt, ihr habt die Kinder ja kaum gesehen«, wurde mir plötzlich klar. Ich hatte mich so daran gewöhnt, Olli und Madeleine die ganze Zeit um mich zu haben, dass ich sie ganz automatisch mitgebracht hatte. Pete war ihnen bei ein paar sonntäglichen Brunchs in Fulham begegnet und natürlich bestens mit ihnen klargekommen. Lou hingegen hatte, wie mir jetzt mit Verspätung auffiel, stets Treffen am Abend vorgeschlagen, und noch dazu an Orten, zu denen niemand ein Kind mitnehmen würde, selbst wenn es von Gesetzes wegen erlaubt wäre. Für Erwachsene, die nicht an Kleinkinder gewöhnt waren, bedeutete ihre Anwesenheit beim Mittagessen eine enorme Umstellung. Ich konnte natürlich nie einen Satz beenden, ohne von Madeleine oder Olli unterbrochen zu werden. Doch da Lou und Pete beide so viel zu erzählen hatten, musste ich über weite Strecken ohnehin kaum mehr als »Nein!« oder »Nicht wirklich!« von mir geben. Hauptthema waren selbstverständlich die bösartigen Machenschaften von Denise und ihrer Miniaturausgabe, Gemma.
Details brauchen Sie gar nicht zu wissen, denn das Gesamtbild war recht einfach: Denise war noch schlimmer geworden, wie es bei Größenwahnsinnigen gerne der Fall ist, und Gemma war auf dem besten Weg, so zu werden wie ihre Mutter. Während ich verschiedenen Geschichten über ihre Missetaten lauschte, durchliefenwir den Bestellprozess. Wie immer fing ich beim Nachtisch an und arbeitete mich von dort aus vor. Ich spürte Lous Blick, als ich das Angebot überflog. Dame blanche, Weiße Dame – eines meiner Lieblingsdesserts, da die Verbindung von Vanilleeis und Schokosauce mehr Glück versprach als jeder Märchenprinz. Tarte aux pommes, vielleicht eine für die Kinder gemeinsam, creme brûlé e nie im Leben ... »Was?« Ich sah auf und begegnete Lous Blick.
»Nichts. Muss nur kurz mal wohin«, flötete sie, schnappte sich ihre Tasche und rauschte von dannen. Vielleicht lag es daran, dass ich sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte, doch ich ertappte mich bei dem kritischen Gedanken, dass ihr Rock selbst an Madeleine ein bisschen knapp säße. Kaum war sie durch die Schwingtüren entschwunden – die ihr natürlich von einem betörten Kellner aufgehalten wurden – da wandte sich Pete mir zu.
»Hör zu, solange Lou nicht da ist, müssen wir dringend was besprechen«, zischte er.
Sofort war ich gespannt wie ein Flitzebogen. Pete und Lou waren immer ein eingeschworenes Team gewesen. Beziehungsweise wir alle drei. Keine Geheimnisse. Hatte sich da etwas verändert? Worum zum Henker ging es hier? Ich beugte mich über Maddies Kinderstuhl zu Pete rüber.
»Ich versteh nicht ganz, Pete. Geheimnisse vor Lou, das ist doch nicht normal ...«
»Normal? Was ist nicht normal?« Lou war geräuschlos zurückgekehrt und stand nun hinter uns. Pete und ich. fuhren sofort auseinander. »Hab meinen Lippenstift vergessen«, sagte
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