Schokoherz
Ich ließ mich abrupt auf einen Stuhl sinken, auf dem bereits mehrere harte Plastikfiguren lagen. Unter Mühen zog ich eine Kuh und einen Widder mit unangenehm spitzen Hörnern hervor und reichte sie Oliver, der sie begeistert entgegennahm.
»Dementiert? Was genau?«, fragte ich schwach. Das durfte einfach nicht wahr sein.
»Eigentlich alles, aber vor allem das Zitat.«
»Zitat? Welches Zitat?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen, in der völlig abwegigen Hoffnung, sie würde nicht sagen …
»DasZitat über die Flittchen.«
»Oh«, sagte ich. In meiner Magengegend breitete sich ein eisiges Gefühl aus, das allmählich von meinem ganzen Körper Besitz ergriff. Ein unangenehmes Gefühl, wie wenn man bei einer Riesendummheit ertappt wird. Seit Jahren war mir so etwas nicht mehr passiert. Eigentlich nicht mehr seit dieser Sache mit der Geburtstagstorte, als ich mich so danebenbenommen hatte. Es war viel schlimmer als das Gefühl vom Vortag, als ich glaubte, jemand hätte mich mit Eiswasser übergossen. Da war ich einfach gestresst gewesen. Jetzt war auf scheußliche, unmissverständliche Weise klar, dass irgendetwas völlig schiefgegangen war und ich nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte. Mir war übel. Ruckartig ließ ich meinen Kopf zwischen die Knie sinken, was die Kinder mit großem Interesse verfolgten.
»Oh! Oh! Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt? Verdammt noch mal!«, kreischte Denise. Während ich mich innerlich an einen einsamen, traurigen Ort zurückgezogen hatte, schien sie neue Kräfte zu gewinnen. Ihre Angst wich offensichtlich einem Wutausbruch, wie wir ihn so oft in der Redaktion beobachten konnten. Dieses Mal war er aber besonders spektakulär – sogar übers Telefon –, da ich diejenige war, die alles abbekam. Und dieses Mal wusste ich, dass ihr Zorn absolut gerechtfertigt war.
Kurz darauf wurde sie wieder ruhig. Aber das war noch beängstigender. Ich versuchte weiterzuatmen, während mich die Kinder beobachteten. Sie wussten, dass da gerade etwas Außergewöhnliches passierte. Aber ich musste trotzdem so tun, als würden wir gerade ganz normal frühstücken. Später konnte ich mich richtig aufregen,aber jetzt musste ich ihre Mummy darstellen. Mechanisch ging ich zum Kühlschrank, nahm den Saft heraus und goss ihn in ihre Becher. »Sagen Sie was, Bella. Sagen Sie mir, dass dieses Zitat wasserdicht ist, dass wir die Champion festnageln können. Bestätigen Sie mir, dass Sie das Ganze auf Kassette haben!«, heulte mir Denise verzweifelt ins Ohr.
»Genau diesen Satz wollen Sie von mir hören ...?« Ich versuchte, Zeit zu gewinnen.
Tödliche Stille am anderen Ende der Leitung. Oliver und Madeleine starrten mich mit riesigen blauen Augen an, während sie sich Reiscracker in den Mund stopften. Gleichzeitig fuhr sich Madeleine mit der Plastikkuh durch die Haare.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erklang Denises Stimme erneut. Ich hatte gehofft, sie hätte sich in der langen Pause etwas zusammengerissen, aber anscheinend hatte sie ihren klaren Kopf endgültig über Bord geworfen und erlitt gerade einen hysterischen Anfall. »Bella, was ist mit dem Band? Sie hatten eines, ich habe es gesehen. Was ist damit passiert? Wo ist es? Sagen Sie es mir!«
Inzwischen hielt ich den Hörer ungefähr einen Meter von meinem Ohr weg, so dass Oliver und Madeleine jedes Wort verstehen konnten. Maddie patschte in ihre dicken Händchen und applaudierte damit Denise und der imposanten Ausdruckskraft, mit der sie andauernd »Wo? Wo? Wo?« rief.
»Denise, ich möchte Sie bitten, ruhig zu bleiben«, sagte ich langsam und bedächtig. »Ich kann alles erklären. Wie Sie wissen, hatte ich eine Kassette. Aber es gab ein kleines, äh, technisches Problem mit dem Gerät. Die Kassetteist, also, sie ist irgendwie auseinandergebrochen. Futsch. Das heißt, sie funktioniert nicht mehr. Genauer gesagt wurde sie aufgefressen. Zerfetzt, könnte man auch sagen. Ist ja egal. Jedenfalls besteht kein Grund zur Beunruhigung«, versuchte ich sie zu besänftigen.
»Kein Grund zur Beunruhigung? Kein Grund zur Beunruhigung? Die Kassette ist kaputt, und ich soll mir keine Sorgen machen?«, kreischte Denise.
»Genau. Sehen Sie, es ist nur ein rechnerisches Problem. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie bei ihrer Hochzeit schwanger war.«
»Verdammt noch mal, das weiß ich auch. Aber ohne das Zitat ist die Story nichts wert. Immerhin hat sie den Vater des Kindes geheiratet und ist immer noch mit ihm zusammen, wie Sie gestern auch
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