Schokoherz
vorgeschlagen, und ich habe gesagt, das müsste ich erst einmal mit dir besprechen«, hörte ich Tom aus weiter Entfernung sagen.
»Brüssel? Brüssel?«, sagte ich verzögert und traute meinen Ohren kaum. »Was meinst du damit, er hat Brüssel vorgeschlagen? Wofür?«
»Damit wir dort eine Zeitlang leben, mein Herz.«
»Was? Wieso? Warum um Himmels willen solltest du das wollen?«
»Na ja, er hat mir den Posten eines Auslandskorrespondenten angeboten. Er dachte, ich würde mich freuen. Und natürlich bin ich äußerst geschmeichelt – das ist ein großes Kompliment«. Tom lächelte.
»Er muss verrückt sein. Warum solltest du das tun wollen?« Inzwischen saß ich kerzengerade. »Gerade jetzt, wo hier alles so gut läuft. Und was soll ich dann tun? Und die Kinder?«
Tomzuckte mit den Schultern und nippte an seinem Champagner. »Na, du würdest selbstverständlich mitkommen. Pass auf, ich habe nur gesagt, dass ich mit dir darüber sprechen würde. Vom finanziellen Standpunkt aus wäre es sinnvoll. Auslandskorrespondenten machen normalerweise später Karriere. Die Gehälter sind bei uns natürlich nicht astronomisch, aber trotzdem. Wir könnten das Haus vermieten, um die Raten weiter abzubezahlen. Aber das ist nur so eine Idee. Und wie meinst du wird das mit Jane Champion weitergehen? So wie ich sie kenne, wird sie die Schuld irgendjemand anderem in die Schuhe schieben. Einer ihrer Assistenten wird gefeuert werden, du wirst schon sehen. In Krisen reagiert sie immer so«, sagte Tom und gab der Unterhaltung damit eine abrupte Wendung. Ich war nur allzu froh, dass er das Thema wechselte. Endlich waren wir wieder auf der gleichen Wellenlänge und tauschten Anekdoten und Klatsch aus, die nicht für die Zeitung geeignet waren. Erst spät in der Nacht krochen wir beschwipst und kichernd ins Bett. Eine Stunde später hatten wir unsere persönliche Feier endgültig beendet. Tom schlief beinahe sofort danach ein, während ich die Decke zurückwarf, um ein bisschen abzukühlen. Lächelnd lag ich dort, während jeder Teil meines Körpers glücklich entspannte. Und morgen würde meine große Story auf der Titelseite stehen! Das Leben konnte nicht schöner sein.
5
Am nächsten Morgen wachte ich um sechs Uhr mit bohrenden Kopfschmerzen auf. Wann würde ich endlich lernen, keinen Champagner mehr zu trinken? Er hatte mir noch nie gutgetan. Außerdem war ich so schon aufgekratzt genug. Tom und ich waren gestern wirklich in Hochform gewesen und hatten mehrfach auf »unsere« Story angestoßen. Das war der einfachste Weg gewesen, irgendwelche Ressentiments auszuräumen, die er vielleicht wegen meiner Geheimnistuerei noch gehabt haben mochte. Ich wagte ein kleines Lächeln. Aua. Das tat weh. Das Klingeln in meinem Kopf wurde immer lauter. Moment mal, das war das Telefon. Um sechs Uhr früh? Wer konnte das denn sein? Wenn das nicht bald aufhörte, würden die Kinder ...
Und schon war es passiert: In Stereo durchschnitt das Weinen der Kinder die morgendliche Ruhe und vereinte sich mit dem Schrillen des Telefons. Ich taumelte in ihr Zimmer, schlug mir den Kopf an dem verdammten Mobile an und hob sie beide aus ihren Bettchen. Dann klemmte ich ein Kind unter jeden Arm und rannte nach unten zum schnurlosen Telefon, das immer noch klingelte. »Ja?«, nuschelte ich auf dem Weg in die Küche und in dem Bemühen, Maddie nicht an den Hörer zu lassen.
»Bella?«,kreischte Denise in mein Ohr, so dass ich den Hörer automatisch weiter weg hielt.
»Ja bitte?«, fragte ich verdutzt. Was wollte sie um Himmels willen zu dieser Uhrzeit? Weil Maddie wieder nach dem Hörer grabschte, ließ ich sie in ihren Hochstuhl gleiten, wo sie sich verschlafen die Äuglein rieb. Normalerweise war es ihr Job, im Morgengrauen das ganze Haus aufzuschrecken. Offensichtlich war sie beleidigt, dass ihr heute Denise zuvorgekommen war.
»Hören Sie gut zu. Wir haben ein großes Problem, aber ich bin mir sicher, dass Sie das klären können«, keifte Denise. Ihre Stimme hatte einen Tonfall, den ich nicht kannte. Es war kein Ärger. Und auch nicht eine ihrer üblichen Verstimmungen. Es war anders. Es klang wie ... Angst. Allmählich lichtete sich der Champagnernebel. Ich klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter, ging zur Spüle und begann automatisch, den Wasserkocher zu füllen. Dann holte ich ein paar bunte Teller und legte den Kindern Reiscracker auf den Tisch.
»Das Problem ist, dass das Innenministerium Ihre Story dementiert hat«, erklärte Denise.
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