Schokoherz
geschrieben habe. Verstehst du das?«
»Also ...«
»Sie hat mir gesagt, in ihrem Fall sei es in Ordnung gewesen, dass sie vor der Ehe Sex hatte, aber für alle anderen nicht.«
»Nein!« Allmählich stieg sie durch.
»Genau! Und jetzt streitet sie ab, das gesagt zu haben. Stell dir das mal vor!«
»Das ist ja schrecklich, mein Schatz! Ich bin schockiert! Sie hat wirklich gelogen?«
»Ja, genau. Und deswegen stecke ich jetzt in solchen Schwierigkeiten. Aber sie hat die Sache mit dem Sex vor der Ehe wirklich gesagt.«
»Sex? Ich weiß gar nicht, warum sie über so etwas überhauptreden wollte.« Anscheinend hatte ich zufällig den richtigen Dreh gefunden. Jetzt hielt sie Jane Champion für eine vulgäre, perverse Person. »Und die Kassette funktioniert nicht? Umso besser, wenn es darauf um Sex geht. So etwas will man sich doch wirklich nicht anhören, Kind! Aber wenn es wichtig ist, könnte dein Vater mal einen Blick auf das Abspielgerät werfen. Er ist geschickt mit solchen Dingen. So, so, diese Jane Champion hat also einen Sexfimmel? Diese Minister sind doch alle gleich, sogar die Frauen. Und dich stellt sie als Lügnerin hin! Ich dachte, sie wäre so fromm. Außerdem habe ich sie noch nie leiden können. Ihre Kostüme sind schon ein bisschen sehr schlicht und ihre Blusen könnten auch ein paar mehr Rüschen vertragen, hab ich schon immer gesagt. Also, mach dir keine Sorgen, Bella. Es ist besser für dich, wenn du nicht mehr bei dieser Zeitung bist. Den ganzen Tag über S-E-X zu schreiben! Es ergibt sich bestimmt etwas anderes für dich. Etwas Netteres. Mir hat diese Zeitung noch nie wirklich gefallen. Und das nächste Mal kaufst du deine Kassetten bei John Lewis. Robert macht dort richtig Karriere.«
Ja, ja. Das hatte ich auch schon mitbekommen. Mir war nur zu bewusst, dass mein bislang so erfolgloser Bruder endlich eine einträgliche Beschäftigung gefunden hatte. Und dann auch noch bei John Lewis! Für meine Eltern war das ungefähr so, wie wenn er zur Rechten Gottes sitzen würde. Bis heute Morgen war sein Job im Vergleich zu meinem dröge und langweilig gewesen. Jetzt war es eine sichere Anstellung, in der er stetig aufsteigen konnte, bis er es in die Höhen des Managertums geschafft hatte, wo eine üppige Rente auf ihn wartete. Mein Bruder, der als Teenager immer unabsichtlich underdressedherumlief (mit einigen äußerst unglücklichen gerüschten Ausrutschern ins Romantische), hatte sich – laut Mum – zum unabsichtlich unterschätzten Mann gemausert. Ich dagegen hatte immer noch Denises brutale Schimpftirade im Ohr. Doch ich zwang mich, Mum wieder zuzuhören. »Weißt du, er hat es mit dem Einzelhandel doch ganz gut getroffen. Und John Lewis ist wirklich äußerst zuverlässig. Sie sind ja so ...«
»Jaja, ich weiß schon, Mum. Du hast ja so recht. Aber musst du jetzt nicht zum Whist?«
Das war in der Tat der Fall, so dass mir die ausführliche Eloge erspart blieb. Als ich den Hörer auflegte, hatte ich Schuldgefühle, weil ich so erleichtert war. Das war gar nicht mal so schlecht gelaufen. Immerhin waren sie beide nicht vor Schock gestorben. Ein seltsames Gefühl, wenn der Lebensabschnitt beginnt, in dem man sich für die Eltern verantwortlich fühlt und nicht mehr umgekehrt. Ich sah Maddie und Olli an, die ihre süßen Köpfchen über ein schreckliches Chaos aus Bausteinen, Traktoren, Playmobil-Figuren und creme brûlée gebeugt hatten, und war wirklich dankbar, dass es noch lange dauern würde, bis wir die Rollen tauschten.
Das Telefon schrillte, und ich hob zögernd ab. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Journalisten mich an diesem Morgen schon angerufen hatten. Einige von ihnen kannte ich, von anderen hatte ich noch nie zuvor gehört; sie alle versuchten, einen Kommentar aus mir herauszuquetschen. Das Ganze hatte mir ziemlich die Augen geöffnet. »Hallo?«
Zum Glück war es der liebe Pete. Dankbarkeit durchströmte mich. »Pass auf«, flüsterte er. »Ich kann nicht wirklichreden. Sie haben uns befohlen, nicht mit dir zu sprechen. Kein Scherz, Denise war gerade da und hat herumgetobt wie ein Berserker. So was hab ich noch nie erlebt. Wollte dir nur sagen, dass Lou und ich an dich denken und dich natürlich weiterhin lieben. Und ...« Plötzlich war die Leitung tot. Ich war mir nicht sicher, ob Pete um des dramatischen Effekts willen aufgelegt hatte – es hätte zu seiner Art von Humor gepasst. Jedenfalls wollte ich ihn nicht durch einen Rückruf in Verlegenheit bringen. Aber es war
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