Schokolade für dich (German Edition)
verschlief also schon wieder einen ganzen Tag.
„Hast du schon was gegessen?“, fragte Samantha.
„Schätzchen, ich bin nicht hungrig.“
„Wann hast du denn überhaupt das letzte Mal etwas gegessen?“
Was spielte das schon für eine Rolle? Muriel machte eine abwehrende Handbewegung. Sie schlüpfte aus dem Bett, ging ins Bad und schlug ihrer Tochter die Tür vor der Nase zu.
Samanthas Stimme folgte ihr: „Ich setze einen Kaffee auf.“
Kaffee, bäh. Muriel hatte immer gern Kaffee getrunken, aber offenbar hatten ihre Geschmacksnerven, genauso wie der Rest von ihr, dem Leben entsagt.
Sie stand am Waschbecken und starrte auf ihr Spiegelbild. Unter den braun gefärbten Locken blickte ihr eine traurige alte Frau entgegen. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Offensichtlich schlief sie, trotz all der Zeit, die sie im Bett verbrachte, zu wenig.
Muriel schaltete das Licht aus und verließ das Badezimmer. Das Bett lockte sie, aber der Duft von frisch gebrühtem Kaffee erinnerte sie daran, dass Samantha sie in der Küche erwartete. Sie zog einen Morgenmantel an und setzte sich auf die Bettkante, während sie versuchte, die Kraft aufzubringen, in die Küche zu gehen. Doch ihr Körper gehorchte ihr nicht.
Schließlich kam Samantha mit einer Tasse in der Hand ins Zimmer zurück. Beim Anblick ihrer Mutter brachte sie ein zaghaftes Lächeln zustande. „Wie wäre es, wenn ich dir ein schönes Schaumbad einlasse und uns ein Omelett mache?“
Muriel nahm die Tasse. „Soll das ein dezenter Hinweis sein?“ Das klang schnippisch. Na und? Sie fühlte sich auch so.
Samanthas helle Haut lief rot an. „Nein. Ich dachte nur …“
„Geh und mach dir was zu essen. Ich komme gleich nach.“ Mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, kehrte Muriel ins Bad zurück. Sie war zu jung, als dass ihre Tochter ihr sagen durfte, was sie zu tun hatte.
Obwohl Samantha recht hatte. Sie musste dringend mal duschen.
Zwanzig Minuten später tauchte sie wieder auf. Ihre Tochter saß zusammengekauert auf einem Hocker am Küchentresen, eine Tasse Kaffee in den Händen. Muriel gesellte sich zu ihr, und dann saßen sie Seite an Seite da und blickten in die leere Küche.
„Ich komme überhaupt nicht wieder auf die Beine“, murmelte Muriel.
„Irgendwann schaffst du es“, erwiderte Samantha.
Und wenn es nach ihrer Tochter ginge, wäre dies besser früher als später der Fall. Doch all die Geschäftigkeit kam Muriel wie reine Zeitverschwendung vor. Plötzlich hatte sie Kopfschmerzen.
„Also, wie wäre es jetzt mit einem Omelett?“, versuchte Samantha sie zu überreden.
Waldo war ein großer Freund von ausgedehntem, herzhaftem Frühstück gewesen. „Das ist der richtige Start in einen guten Tag“, hatte er immer gesagt.
Dieser Tag konnte gar nicht mehr gut starten. „Nein, ich möchte nichts“, sagte Muriel. Ich will nur meinen Mann wiederhaben.
„Dann lass mich dir wenigstens einen Toast machen.“
Na gut, wenn es sie glücklich macht, dachte Muriel und nickte.
Erst als Samantha eine Scheibe Toast geröstet, mit Butter bestrichen und auf einem Teller vor Muriel auf den Tresen gestellt hatte, machte Muriels benebeltes Gehirn eine Entdeckung. „Du bist ja gar nicht im Büro.“
Samantha schob den Teller noch ein Stück näher. „Iss den Toast.“
Muriel biss ab und kaute. Sie hätte genauso gut Sägespäne kauen können. Sie schob den Teller wieder von sich. „Ich dachte, du wärst im Büro.“
Noch einmal drängte Samantha ihr den Toast auf. „Beiß noch mal ab. Komm, noch einen Bissen.“
Wieder schob Muriel den Teller weg. Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihre Tochter. „Samantha Rose. Warum bist du hier?“
Samantha senkte den Blick auf den Tresen und kaute auf ihrer Unterlippe. Hinter dem hübschen Gesicht verbarg sich ein eiserner Willen, der sich in dem starken Kinn widerspiegelte, das immer Entschlossenheit signalisierte. Nur: Heute sah ihre Tochter aus, als wäre sie in sich selbst zusammengefallen.
Mütterliche Instinkte setzten sich gegen die Trauer durch, und Muriel legte spontan eine Hand auf Samanthas Arm. „Erzähl’s mir“, befahl sie, obwohl sie es wirklich nicht hören wollte. Die schlechten Nachrichten, die sie im Laufe der letzten Monate von ihrer Tochter und den Ärzten bekommen hatte, reichten für ein ganzes Leben. Sie erschauerte innerlich und wappnete sich.
Samantha blickte wieder auf, und in ihren Augen spiegelte sich Verzweiflung. „Ich weiß nicht mal, wie ich das
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