Schon in der ersten Nacht
sie das Stethoskop aus der Tasche und hängte es sich um, damit man ihr wenigstens ansah, dass sie Ärztin war.
Die Tür zum Aufenthaltsraum war nur angelehnt. Lindy öffnete sie und ging hinein. Was wollte sie überhaupt sagen? Darüber hatte sie bis jetzt noch nicht nachgedacht, sondern war einfach ihrem Instinkt gefolgt. Wahrscheinlich will Sam mich gar nicht sehen, überlegte sie, während sie die Leute musterte, die in den bequemen Sesseln saßen.
Sam war nicht da. Dann fielen ihr der Mann und die Frau am anderen Ende des Raums auf, die sich an den Händen hielten. Sogar über die Entfernung hinweg spürte Lindy, wie angespannt die beiden waren.
"Es tut mir Leid, dass ich Sie störe."
"Sind Sie Ärztin?" Die Frau sprang auf. "Ist was mit Ben?"
Offenbar war sie Bens Mutter. "Ich arbeite nicht hier", gab Lindy zu. Sie konnte diese Leute nicht belügen. "Sie sind bestimmt Marilyn.
Ich bin ... eine Freundin von Sam und hoffe, dass ich irgendwie helfen kann."
"Er sitzt an Bens Bett."
"Es tut mir so Leid. Ich sollte gar nicht hier sein." Es war ein Fehler, ich hätte nicht herkommen dürfen, sagte Lindy sich, als sie begriff, wie sehr die Frau litt. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unbedeutend ihr eigener Schmerz dagegen war. Sie drehte sich um und wollte gehen. Doch die Frau hielt sie am Arm fest.
"Nein, gehen Sie nicht. Sam braucht jemanden, der für ihn da ist.
Ich habe Murray, ohne ihn hätte ich das alles nicht durchgestanden.
Wir wussten nicht, dass Sam eine Freundin hat."
"So ist es auch nicht. Wir sind nicht..."
Marilyns Lächeln wirkte ganz bezaubernd. "Dass Sie gekommen sind, bedeutet auf jeden Fall etwas."
Die Panik, die in Lindy aufgestiegen war, verschwand langsam.
Dennoch war sie überzeugt, einen großen Fehler gemacht zu haben.
Ich habe so kopflos wie ein verliebter Teenager gehandelt, schalt sie sich insgeheim. Sam wollte sie gar nicht sehen, er konnte ihren Anblick nicht mehr ertragen.
"Ich kann ja eine Nachricht für Sam hinterlassen", schlug sie vor.
Das wäre die beste Lösung. Sie zog den Zettel mit dem Namen des Hotels aus der Tasche, das Adam ihr empfohlen hatte.
"Er ist bei Bewusstsein", ertönte plötzlich Sams Stimme hinter ihr.
"Gott sei Dank!" rief Marilyn aus und umarmte Sam erleichtert.
Ihr Mann legte ihr die Hand auf den Arm. Sogleich ließ sie Sam los und barg das Gesicht an der Schulter ihres Mannes.
"Geht zu ihm, ich warte hier", sagte Sam.
Die beiden eilten hinaus. Seltsam sehnsüchtig blickte Sam hinter ihnen her, ehe er sich umdrehte und sich in einen Sessel sinken ließ.
Dann schloss er die Augen, und sein Kopf sank nach vorn.
Offenbar war er völlig erschöpft, seine Haut wirkte seltsam grau.
Wenn er nicht so einen eisernen Willen hätte, wäre er sicher schon zusammengebrochen, das war Lindy klar. Er hatte niemanden, mit dem er reden konnte, sondern musste allein mit allem fertig werden.
"Hallo, Sam." Sie setzte sich neben ihn.
Er hob den Kopf und sah sie an. Sein Blick war weder feindselig noch freundlich. "Rosalind? Ben ist bei Bewusstsein."
"Das freut mich", erwiderte sie aufgewühlt und hätte ihn am liebsten umarmt. Sie respektierte jedoch, dass er keine Gefühle zeigen wollte. "Ich habe eben mit Marilyn gesprochen. Sie ist eine sympathische Frau."
"Ja", antwortete er ausdruckslos und fuhr sich müde über die Stirn.
"Was willst du hier, Rosalind?"
"Dir helfen." Sie hatte Angst um ihn, er war offenbar am Ende seiner Kraft.
Er nickte nur und stand auf.
"Wohin gehst du, Sam?" Lindy stand auch auf.
"Es ist Zeit, dass ich verschwinde."
"Willst du nicht noch mal zu Ben?"
"Er wollte seine Mam und seinen Dad sehen", erklärte er tonlos.
"Mich hat er nicht erkannt, Rosalind."
Lindy begriff, wie schmerzlich die Situation für ihn war. In ihrer Hilflosigkeit nahm sie seine Hand, und er drückte sie fest.
"Wohnst du im Hotel, Sam?"
"Nein, ich bin am Dienstag ... am Montag vom Flughafen direkt zum Krankenhaus gefahren. Ich kam aus Hongkong, wo wir den nächsten Film drehen wollen."
Das war vor vier Tagen, überlegte sie. "Hast du seitdem überhaupt geschlafen?"
Ungeduldig schüttelte Sam den Kopf.
"Und gegessen?"
"Ich habe Kaffee getrunken."
Kein Wunder, dass er so schlecht aussah. "Warte bitte auf mich, Sam, ich muss rasch etwas erledigen." Zu ihrer Erleichterung wollte er nicht wissen, was, sondern ließ sich einfach wieder in den Sessel sinken.
Lindy ging ins Schwesternzimmer und bat, Dr. Bohman
auszurufen. Kurz darauf kam er schon
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