Schon wieder Greta!
Greta ließ sich ganz und gar von dem Treiben fangen und stellte fest, dass hier in Venedig tatsächlich alles über den Wasserweg transportiert werden musste. Klar, dachte sie sich, die Gassen sind ja viel zu eng, Autos haben da keine Chance. Völlig in Gedanken um den Alltag der Stadt versunken, hörte sie nicht, wie eine Hupe, die ständig lauter wurde, das nahe Umfeld zu dominieren begann. »Italiener sind eben laut« war alles was ihr halb-bewusst in den Sinn kam. Wieder sah sie auf die Uhr.
Was? Schon eine ganze Stunde? So lange steh ich hier schon? Also, wenn der wieder nicht kommt, dann war’s das. Ich warte jetzt noch fünf Minuten -
Die dröhnende Hupe riss sie aus ihren Gedanken und ihr Blick wurde von der Quelle des Lärms angezogen: ein Wassertaxi. Eins dieser eleganten, mit Kabine und offenem Verdeck nach hinten. In so einem sah man George Clooney und Diane Kruger zur Biennale im Fernsehen. Das gibt’s doch nicht, dachte Greta. Sie sah noch mal genauer hin ... es war Mike der da auf dem Boot stand und ihr zuwinkte. Ja, tatsächlich, das war er . Sie konnte ihn jetzt gut erkennen. Sie winkte zurück und ein Stein fiel ihr vom Herzen. Sie war sich bis zuletzt nicht wirklich sicher gewesen, dass er kommen würde. Der Schock aus New York saß tief und ihr Vertrauen hatte er noch nicht zurückgewonnen. Sie packte ihren Trolley und marschierte auf den kleinen Steg am Brückenende zu. Mike kam ihr entgegen. Er sah blendend aus. Hätte als Italiener durchgehen können, wenn er nicht wieder diese Boots angehabt hätte. Tja, ist halt doch ein Cowboy, mein Mike!, dachte sich Greta und strahlte ihn an. Die Wochen der Trennung waren wie weggewischt und all ihre Zweifel um ihn auch. Sie umarmten sich - lange und innig. Sein Geruch war wieder das, was Greta so sehr an ihm liebte: ein bisschen nach Leder, nach frischer Luft und so etwas wie der Hauch eines Rasierwassers – was aber ja eigentlich nicht sein konnte, da er einen Dreitagebart trug. Außerdem trug er Jeans und ein helles Hemd, das bis zur Brust offen stand. Darüber die Lederjacke, die Greta schon kannte. Egal was er anhatte, der Typ war ein echt cooler Mann. Ein Mann, dem andere Frauen hinterhersahen. Einer, an den man sich erinnerte, der Spuren hinterließ. Hoffentlich werden es auch Spuren sein, die mir gefallen, schoss es Greta durch den Kopf. Und dann der Kuss – allein deswegen war die Reise es schon wert gewesen. Sie schmolz in seinen Armen und war glücklich. Greta strahlte.
»Endlich bist du da. Ich hab dich schon von weiten gesehen, aber du hast die Hupe nicht gehört. Komm, wir fahren mit dem Taxi in die Stadt. Hast du Hunger, willst du erst was essen? Wir können das Gepäck hinbringen lassen. Was meinst du?«
»Ganz egal. Es hört sich alles super an.«
»Gut, dann machen wir uns auf den Weg.«
Mike gab dem Wassertaxifahrer Anweisungen auf Italienisch. Greta kam es immer noch ein bisschen komisch vor, ihn in einer anderen Sprache sprechen zu hören, obwohl er ihr ja schon gesagt hatte, dass er das konnte.
»Warum kannst du eigentlich Italienisch?«
»Das kommt aus der Zeit mit Daddy Coo. Die Meditation ermöglichte es ihm, verschiedene Sprachen lernen. Ich weiß, das hört sich jetzt wieder total verrückt an. Aber ich kann’s nicht anders erklären. Bei ihm waren es um die sechs Sprachen, die er auf einmal fließend sprechen konnte. Bei mir war es eben ›nur‹ Italienisch. Ich schwör’s, ich hab die Sprache nie gelernt, ich konnte sie einfach sprechen.«
»Ehrlich gesagt, bist du mir schon manchmal unheimlich. So ganz geheuer ist das doch nicht. Das musst du selbst auch zugeben.«
»Stimmt, Greta. Ich weiß es. Deshalb kann ich das auch nicht jedem erzählen.«
Er schwieg, sein Blick ging irgendwohin in die Ferne. Greta wusste, dass sie ihm dorthin nicht folgen konnte. Und wahrscheinlich auch gar nicht wollte.
Nach ein paar Minuten Fahrt und Schweigen bog das Wassertaxi in einen großen, breiten Kanal.
»Das ist der Canale Grande.«
»Boah, wunderschön. Diese alten Gebäude, diese Kulisse und die Farben.«
Greta schwieg einen Moment, ganz erfasst von der Umgebung. Wieder war es laut, das Treiben auf dem Wasser glich tatsächlich jenem Trubel, den sie auf den Straßen in den Vororten Venedigs gesehen hatte. Alles war lebendig und in Bewegung.
»Es ist wunderschön. So besonders. Bezaubernd.«
»Schön, dass du es auch so toll findest. Mich nimmt diese Stadt jedes Mal wieder völlig ein. Komm, wir steigen aus und
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