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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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ich bin verrückt, und sie kann sich einreden, weil sie ja nicht in Therapie muss, dass sie gesund ist, bekommt aber durch mich die Knallertipps von Ihnen. Sie ist meiner Meinung nach genau wie meine Mutter eine tickende Zeitbombe. Und tickende Zeitbomben machen mir große Angst. Wahrscheinlich weil ich selber eine bin.
    Meine Freundin und ihre Wahnsinnigkeiten machen einen großen Teil meiner Therapie bei Ihnen aus. Damit muss doch mal Schluss sein. Ich stelle mir immer öfter vor, dass das Leben ohne sie vielleicht viel besser ist für mich. Alles wirkt auf mich so schlecht, so falsch. Das liegt auch daran, dass ich tief in mir drin eigentlich nicht glaube, dass man einfach gehen darf, wenn man erkannt hat, dass jemand für einen mehr schlecht als recht ist. Ich glaube, ich müsste mal einen Streit vom Zaun brechen und dann gehen. Man darf ja gehen, wenn man wirklich will, sagen Sie ja. Es stellt sich dann bei ihr ja mit Sicherheit ein wütendes Gefühl ein, und ich habe Angst vor den Aggressionen meiner von mir dann verlassenen besten Freundin. Und was für Aggressionen sie hat! Hab ich Ihnen ja schon oft von erzählt. Sie ist definitiv die aggressivste Person, die ich kenne, ich habe ständig versucht, sie mit Geschenken und Komplimenten und Schleimerei zu befrieden. Sie ist aber nicht zu befrieden, niemand kann ihr helfen, ein besserer Mensch zu werden, nur sie sich selbst, und sie weigert sich. Lustig, dass man so viele Jahre braucht, um das zu merken. Wie spät manchmal der Selbstschutz einsetzt.
    Ich stelle mir das aber auch sehr befreiend vor, wenn ich das endlich mal mache, wenn ich mich traue. Sie haben mir ja beigebracht, dass es in einer Freundschaft wichtig ist, sich im wortwörtlichen Sinne auseinanderzusetzen . Das haben Cathrin und ich ja nie gemacht, wir waren bis jetzt immer ein harmonisches Eins. Keine Kritik ist erlaubt, wir haben wie zwei geistesgestörte Freundinnen verabredet: Alle um uns rum sind böse zu uns, wir sind immer nur lieb zueinander. Es gab aber natürlich trotzdem Aggressionen, auch von ihrer Seite, Neid auf Mann, Kind, Beziehungsfähigkeit, Erfolg, Geld, Orgasmen, fuck, eigentlich alles. Allein schon die Worte: beste Freundin. Da müsste man schon schreiend weglaufen! Nur der eine Gott ist erlaubt. Wie bei meiner Mutter auch. Hilfe! Monotheismus. Schon wieder. Ich fall aber auch immer wieder drauf rein. Oder, Frau Drescher, immer das Gleiche mit mir! Jetzt kann ich nicht mehr, ich will so eine Beziehung nicht mehr. Ich will bald Schluss machen. Ich weiß nur nicht, wie. Sie macht mir so Angst. Unglaublich eigentlich. Die beste Freundin. Und man hat Angst vor ihr. Was ist da bloß alles schiefgelaufen?
    Seit ich mit dem Gedanken spiele, sie abzuschießen, erlaube ich mir so schreckliche Gedanken wie: Ich habe mich die ganze Zeit für sie hässlich gefunden. Damit sie sich besser fühlt. Wir haben uns in dieser schlimmen Beziehung selber Hässlichkeit eingeredet.«
    Plötzlich kommt ein Gedanke in mir auf.
    »Cathrin hat mich mit ihrer Magersucht angesteckt.«
    »Ich hätte Sie damals fast in eine Klinik geschickt, damit Ihre Tochter den körperlichen Verfall der Mutter nicht weiter mit ansehen muss.«
    »Diesen ganzen Scheiß von wegen: Gute Kleidung sieht nur an dünnen Körpern gut aus. Jetzt möchte ich mich aber schön finden, auch für meinen Mann, für meine Tochter, für alle, aber vor allem für mich! Ich will essen, was ich will! Ich bin klein, ich habe ein Kind, ich habe kurze Beine, ich bin genau dreiunddreißig Jahre alt, und das soll man auch sehen. Ich will so aussehen dürfen. Meine Tochter sagt wegen meiner grauen Haare: ›Boah, Mama, bist du alt.‹ Hat die wirklich letztens gesagt! Und recht hat sie.
    Dass ich meine Haare nicht färbe, ist für Cathrin der Horror. Hilfe! Alter, Tod. Sie hat mir mal erzählt, dass eine alte amerikanische Feministin sagt: Die beste Erfindung für Frauen, noch besser als die Pille, sei Haarfärbemittel, weil man nämlich unsichtbar wird für Männer, wenn man grau wird. Ich kann es nicht akzeptieren, dass es feministisch sein soll, so lange wie möglich für Männer jung auszusehen. Nur der Mann ist ein guter Mann, der mich mit all den grauen Haaren und Falten akzeptiert, die zu mir gehören. Ich möchte nicht mehr, wie an der Seite meiner düsteren Freundin, versuchen gegen das Alter zu kämpfen. Scheiße. Warum dauert das so lange, bis ich diese masochistische Beziehung beenden will? Aber jetzt habe ich Angst vor ihr, vor ihrer

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