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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Gegend rumspringt, am falschen Ort zur falschen Zeit, dann kannst du jemanden besuchen im Gefängnis, mein Kind. Vielleicht gehe ich doch nicht mit, weil ich es meiner Tochter nicht antun kann und auch ein bisschen nicht meinem Mann. Ich habe aber für alle Fälle schon im Testament geschrieben, dass er sich gerne sofort eine neue Frau suchen darf, dass ich will, dass er das macht, er braucht doch immer eine Absolution von mir. Auch gerne eine Frau mit großen Brüsten, das muss ich ja nicht mehr miterleben, über kurz oder lang würde das doch sowieso passieren.
    Liza atmet schon tiefer. Ich kann im Dunkeln ihre langen Wimpern erkennen. Es ist wirklich lustig, wie jede Mutter denkt, ihr Kind sei das schönste. Dabei stimmt das sicher nicht. Kann ja nicht. Ich löse ganz langsam mit angehaltenem Atem meine Finger aus dem Klammergriff meiner Tochter. Den komplizierten Klammergriff mit angehaltenem Atem zu lösen ist jedes Mal wie eine Geburt. Das Kind will aber nicht aus der Mutter raus. Es wacht auf. Klar. Dafür hat es ja die komplizierte Fingerkonstruktion gebaut, als Alarmanlage, wenn ich versuche zu entkommen.
    Sie macht die Augen auf. Immer der gleiche Satz: »Mama, noch ein bisschen.«
    »Ja, aber lass meine Finger jetzt los, sonst weck ich dich gleich beim Weggehen wieder.«
    Immer das Gleiche. Hab ich früher nicht gehabt. Gefangen in einer Zeitschleife. Ich löse meine Finger aus ihren. Lege mich diesmal ohne Körperkontakt etwas weiter weg von ihr. Ich weiß genau, dass sie jetzt vier normale Atemzüge macht und danach anfängt, sehr tief ein- und auszuatmen, sie klingt dann wie ein alter, besoffener Mann, das Zeichen für mich, dass sie eingeschlafen ist. Endlich. Und plötzlich zuckt sie heftig. Das kenne ich, sie ist entweder gefallen oder aufgeschlagen, hinter ihren Augen. Freier Fall oder noch schlimmer: Aufprall. Das habe ich auch oft. Und mein Mann auch. Kurz bevor man richtig eingeschlafen ist, rabumms, durchzuckt es einen, weil man was kurzes Schreckliches geträumt oder gesehen hat. Das muss ich unbedingt Agnetha noch fragen, was das eigentlich soll, warum unser Hirn das mit uns macht. Bevor ich sterbe, muss ich sie das unbedingt fragen.
    Das Kind schläft. Endlich. Ich darf gehen. Ich bin frei, habe kinderfrei. Meine Schultern entspannen sich. Eine große Last fällt mir von den Schultern. Wenn Kinder schlafen, sehen sie am schönsten aus. So unschuldig und glatt, wie neugeboren. Das kann doch nicht sein, dass man sich immer Kinder wünscht, und wenn sie endlich da sind, ist man froh, wenn sie schlafen oder woanders sind, und dieser Gedanke macht einem jedes Mal wieder ein schlechtes Gewissen, jedes Mal. Ich trainiere meine Bauchmuskeln, indem ich lautlos, auf dem Rücken liegend, die Beine ausstrecke und meine Bauchmuskulatur meinen Oberkörper, ohne Schwung zu holen, hochzieht. Wenn ich sitze, kreuze ich die Beine und stehe mit Gegendruck der Beine aus dem Schneidersitz auf. Rausschleichen. Auf die Parkettbodenplanke im Türrahmen achten, die quietscht, wenn man drauftritt. Und gerettet. Ich atme tief aus und renne die Treppe hoch.
    Georg sieht mir die Anspannung an. »Was ist?«
    Jeden Abend die gleiche Frage, nachdem ich sie ins Bett gebracht habe. »Ich kann das nicht ertragen, wenn sie mich nicht weglässt. Es ist irgendwie ein schönes Gefühl, aber auch schrecklich, so gebraucht zu werden. Weißt du doch.«
    »Maamaa.«
    Fuck. Sie ist wieder wach. Ich renne die Treppe runter und schnauze sie an: »Was ist, Manno?« Ich denke natürlich, sie beschwert sich wieder, dass ich zu früh gegangen bin, dass sie noch nicht richtig eingeschlafen war. Das behauptet sie ganz oft, obwohl sie tief und fest geschlafen hat: dass sie noch nicht eingeschlafen sei.
    Sie guckt mich ganz besorgt an und flüstert verschlafen: »Die andere Tür ist noch einen Schlitz auf, kannst du sie bitte zumachen, das macht mir Angst.« Und dann: »Mein Po juckt ganz doll.«
    Ich wieder. So aufbrausend und mit blank liegenden Nerven. Typisch. Ich muss mich wieder mal bei meinem Kind entschuldigen.
    »Das mit dem Po klären wir morgen. Wie wär’s mal mit waschen morgen früh vor der Schule? Dann geht das bestimmt wieder.«
    Wie bringt man Kindern bei, sich vernünftig den Po abzuwischen? Ich habe das Gefühl, dass ich mit dreiunddreißig noch immer besser werde darin, wie soll ein Kind das perfekt beherrschen? Ich will ihr keinen Putzfimmel anerziehen und ständig von Hygiene quatschen. Sie soll sich nicht vor sich selber

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