Schossgebete
möchte mich nicht selbst betrügen. Dass man sich einredet, man würde wahnsinnig viel für die Umwelt tun, und in Wirklichkeit machen die Maßnahmen, die man trifft, alles nur schlimmer. Diesen Gedanken fände ich unerträglich. Meistens haben alle Umweltmaßnahmen auch mit Selbstbeschneidung zu tun, man darf einfach Dinge, die andere tun, ohne nachzudenken, nicht mehr machen. Es geht darum, sich selber nicht so ernst zu nehmen in seinem luxuriösen Lebensstil, sondern kürzerzutreten auf vielen Gebieten. Damit die Welt so bleibt, wenigstens, wie wir sie kennen. Selbstbeschneidung erfordert eiserne Disziplin, weil einen niemand kontrolliert, es gibt ja keinen Umweltbeauftragten, leider, der in die Wohnung kommt und den Trockner wegnimmt, weil er sinnlos ist und superschlecht für die Umwelt. Nein, es ist so: Der steht da, aber wir dürfen ihn nicht benutzen, Wäsche muss luftgetrocknet werden, sonst verschwenden wir Energie.
Die Spülmaschine ist eingeräumt. Nach jedem Teil hat das Kind gesagt: »So, fertig.«
Und wir: »Nein, du bist nicht fertig. Dies noch. Das noch.«
Bei Kindern gibt es irgendwie keine große Aufgabe, die gelöst werden muss. Sondern jede große Aufgabe wird in viele kleine Aufgaben aufgeteilt, und nach jeder Kleinigkeit wird schlappgemacht. Die Eltern schleifen das Kind da durch. Damit es im Idealfall später in der eigenen Wohnung kein Messie wird.
Meine Eltern haben das bei mir nicht geschafft. Die großen Themen, die man seinem Kind mitgeben muss: mit Geld umgehen lernen, Wohnung sauber halten, waren bei mir ein voller Griff ins Klo. Ich frage mich, wie die das heute begründen würden. Wahrscheinlich würden sie sich selber niemals die Schuld dafür geben. Ich kann sie aber auch nicht mehr fragen, weil ich sie ja verlassen habe. Ich habe beschlossen, dass meine Eltern es nicht verdienen, Kinder zu haben. Ich bin jetzt dreiunddreißig Jahre alt, und mit neunundzwanzig habe ich mich von ihnen verabschiedet. Also jetzt nicht im wörtlichen Sinne mit: »Auf Wiedersehen, ich verlasse euch.« Sondern einfach den Kontakt abgebrochen. Und zwar für immer. Das heißt, ich gehe auch nicht zu ihrem Geburtstag, und ich schicke auch keine Karte, auf ihre Beerdigung werde ich nicht gehen, ich besuche sie nicht, wenn sie Hodenkrebs haben. Ja, ich glaube, meine Mutter hat auch Hoden. Kein Grabbesuch, einfach keine Eltern mehr!
Das kommt mir selber vor wie ein riesiges Tabu. Ständig werde ich geplagt von schlechtem Gewissen, weil wir doch alle in einer Gesellschaft aufwachsen, in der man auch als Hardcoreatheist lernt, dass man die Eltern ehren soll und so weiter und so fort. Warum soll man die Eltern ehren, wenn sie einem nur Schlechtes angetan haben? Ich versuche mir dauerhaft einzureden, dass das Leben ohne Eltern besser ist und sie mich als Tochter nicht verdient haben. An Weihnachten wird es unerträglich, dann werde auch ich, als der Antichrist schlechthin, schmerzhaft sentimental und spüre körperlich, wie schrecklich es ist, Weihnachten feiern zu müssen, als hätte man keine große Kernfamilie, also ohne die alte Generation vor mir. Das kommt mir so falsch vor, dass ich regelmäßig in Tränen ausbreche. Trotzdem kein Grund, irgendwas zu ändern, mein Entschluss steht fest, ich lebe ohne meine Eltern weiter. Ich darf das, man darf jeden verlassen, wenn man rausgefunden hat, dass er schlecht für einen ist, das muss ich mir immer selber sagen, zur Beruhigung, habe ich von meiner Therapeutin gelernt, weil ich sonst oft denke, es ist ungeheuerlich, was ich da mache. Auch wenn ich das weiterdenke und mir vorstelle, dass mir selber das mit meiner Tochter passieren könnte. Schrecklich.
Frau Drescher hat mir beigebracht, dass ich meiner Tochter nicht die Großeltern nehmen darf. Auch wenn ich entschieden habe, dass sie für mich schlechte Eltern waren, könnten sie für meine Tochter gute Großeltern sein. Ich bezweifle das zwar, aber gut, wenn die meint, die wird das ja wohl wissen. Familie! Ich habe nur eine, dadurch ist man noch lange nicht Experte. Also höre ich auf sie. Ich arrangiere gegen meinen Willen Treffen zwischen meiner Tochter und ihren Großeltern, die meine Exeltern sind. Andere müssen bei den Übergaben helfen, weil ich mir auch in meinen Dickschädel gesetzt habe, dass ich sie tatsächlich mit eigenen Augen nie mehr sehen will, wenn es irgendwie geht, bis sie sterben. Und danach natürlich erst recht nicht!
Sie können meine Tochter bei ihrem Vater abholen, ich nehme meiner
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