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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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nicht hinkriege, dass wir zusammen klarkommen, dann würde sich das Problem von allein lösen, wenn er abstürzt. Ich würde natürlich meinem Mann durch die Trauer helfen und ihn dann irgendwann ablenken von seinem Schmerz. Und meine Tochter würde ihm auch dabei helfen, den Verlust zu überwinden. Sein Leben würde es auch einfacher machen. Trauriger, ja, aber auch einfacher.
    Ich glaube, meine Sehnsucht nach dem Tod des Kindes ist so groß, weil ich so gerne die Expartnerin loswerden würde. Sie drückt immer noch regelmäßig bei meinem Mann die Du-hast-mich-verlassen-Knöpfe, und ich gucke ihm dabei zu, verachte ihn dafür, dass er reinfällt, und wir können niemals frei sein, noch weniger frei, als wir es mit gemeinsamen Kindern wären.
    Auch bei meinem Exmann hoffe ich immer, dass er abstürzt. Selbst wenn meine Tochter dann ihren Vater verlieren würde. Das verwindet man irgendwann, aber ich wäre dann nicht mehr so wegen unserer gemeinsamen Tochter verbunden auf diese unangenehme Art. Dieses ewige schlechte Gewissen, diese schrecklichen alten Muster, in die man immer rutscht, das ist das Therapiedeutsch für: immer die gleichen Fehler machen, die man in der Beziehung schon immer gemacht hat.
    Manchmal wünsche ich mir sogar, dass mein eigenes Kind stirbt. Ich kenne das ja, wie das ist, wenn einem was Schreckliches zustößt, wenn einen ein schlimmer Schicksalsschlag heimsucht. Und wie schön das ist, die Aufmerksamkeit, die man bekommt, das Mitleid, darin kann man sich schön einkuscheln und darf ganz lange ganz viel Scheiße bauen, ohne dass jemand das bemerkt oder sauer auf einen wird. Ich glaube, diese unnatürliche Aufmerksamkeit aller Menschen mit ihrer Betroffenheit in den Augen kann wirklich süchtig machen.
    Man wurde damals auf Händen getragen, weil alle dachten: Guck mal, wie stark sie ist, so tapfer. Schön war das, dass man tapfer sein konnte, zeigen, wie stark man ist. Wann kann man das schon? Ja, genau: wenn das Schicksal zuschlägt. Und weil man nach dem Schicksalsschlag ständig auf den nächsten wartet und er wahrscheinlich nie kommen wird, sehnt man sich den bald richtig herbei, damit man endlich erlöst wird von dieser ständigen Warterei darauf und der Angst davor!
    Meine Mutter will seit dem Unfall nichts Kritisches über ihre Person hören. Sie hält sich einfach die Ohren zu, wie meine beste Freundin, beide auch Telefonauflegerinnen. Das ist eben der Vorteil an so einem Schicksalsschlag, man hat danach einfach frei, was Kritik von anderen angeht. Aber wo jetzt der Unfall oder der Schicksalsschlag bei meiner Freundin liegt, hab ich nie rausfinden können. Sie wollen geschont werden. Darum gehen sie auch beide trotz Megaschaden nicht in Therapie, weil sie das einfach nicht aushalten, die Kritik, die man da hört über sich selbst.
    In meinem Kopf und in meiner Vagina ist alles bereit für eine Affäre. Ich denke, ich habe mir als Vorbild für eine nichts zerstörende Affäre den Cousin und die Cousine aus der Blechtrommel ausgesucht. Die treffen sich regelmäßig, keiner merkt das, na gut, außer ein bisschen der jüdische Blechtrommelverkäufer und der Sohn der Frau, Oskar, aber sonst läuft die ganz gut, die Affäre. Mir egal, ob es Inzest ist oder nicht. Cousins sind, glaub ich, weit genug entfernt, dass es nicht ekelig wird. Die wollen beide nicht mehr voneinander, als sie kriegen. Sie treffen sich regelmäßig, haben wilden, harten Sex und gehen wieder auseinander. Beide haben verstanden, dass sie dem anderen nichts kaputt machen wollen im Leben, keiner stellt für den anderen eine tickende Zeitbombe dar. Keiner von beiden sagt zum anderen: »Sei mit mir zusammen. Sofort!« Das Gleichgewicht ist wichtig.
    In deren Fall geht es gut, weil sie eine familiäre Verbindung haben, in meinem Fall habe ich mir gedacht, dass ich einen Mann aussuchen muss, der wie ich viel zu verlieren hätte. Gerne einen mit Beruf, eventuell sogar angesehenen Beruf, damit er da schon mal etwas eingeengt ist. Feste Beziehung, gerne auch verheiratet und lieber auch Kinder und mit denen allen zusammenwohnen. Ich möchte auf keinen Fall, dass das eine wilde, große Liebe wird, wie das bei meinem Mann und mir passiert ist. Ich möchte ja besser für mein Kind sein, als meine Mutter für mich war. Das bedeutet, nicht ständig die Männer verlassen, umziehen und ein Schlampenleben führen, das das Kind nachträglich so geistesgestört macht, wie ich es heute bin. Ich sage ja immer: Ich bin die Summe aller Fehler

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