Schossgebete
Dabei soll man doch der Therapeutin alles sagen. Sie sagt immer, das ist wichtig für unsere Beziehung, ja, das haben wir nämlich, eine Beziehung, das ist was Besonderes für mich. Ich habe es ihr nur noch nie gesagt, weil dieser Eindruck der Peinlichkeit durch Tausende anderer Eindrücke überlagert wird, bis ich bei ihr auf der Couch liege. Ja, genau, auf der Couch liegt man da bei ihr, wie bei Sigmund Freud. Nur dass sie schöner ist und frauenfreundlicher als Freud. Ich liege mit meinem Mann meistens auf der Couch, bei meiner Therapeutin liege ich immer auf der Couch. War mir noch nie so klar, dass die Couch das zentrale Möbelstück meines Lebens ist.
Ich steige in den Aufzug, gehe die ganzen Ängste durch, von denen ich früher so ins Schwitzen kam. Früher habe ich oft nach Angstschweiß gerochen, weil ich so viele Ängste hatte. Jetzt habe ich aber ein Deo gefunden, das praktisch die komplette Schweißbildung unter den Achseln stoppt. In normalen Deos ist ein bisschen Aluminiumchlorid drin, das verhindert die Schweißbildung. In diesem Deo ist hundert Prozent Aluminiumchlorid drin. Wenn ich es mit dem Roll-on direkt auf die Haut auftrage, sticht und juckt es stark, wenn ich aber erst den Roll-on auf zwei Fingerspitzen auftrage und das in beiden Achselhöhlen verteile, dann gibt es keine Probleme mit einer Überreaktion der Haut.
Ich klingele, ihr automatischer Summer summt mich rein. Hallo, guten Tag, Begrüßung, ekliges Händeschütteln, in Augen gucken müssen, endlich hinlegen, Teufelsbild anglotzen. Und an den Fingernägeln spielen. Ich bin nervös. Immer. Aber ich würde niemals Nägel kauen, weil es dann ja jeder sieht, dass ich ein psychisches Problem habe. An der Nagelhaut kauen würde ich mir auch nie genehmigen. Zu viel Einsicht in meine Psyche!
»Wir wollten ja eigentlich heute in den Puff, Georg und ich. Ich habe aber gestern Abend festgestellt, dass sowohl ich als auch Liza Würmer haben. Liza ist nicht in der Schule, dann dachte ich, ich muss den Puff absagen. Und Georg war wieder mal so enttäuscht, Sie wissen ja, wie oft ich aus Feigheit, oder besser vor Aufregung, einen Rückzieher gemacht habe. Wir müssen über die Würmer nicht reden, die sind schon tot. Wir waren heute Morgen beim Arzt und haben alle Wurmmittel bekommen. Problem schon gelöst. Gleich fahre ich zu Georg und kann den Ausflug wieder zusagen, unsere kleine sexuelle Verabredung.
Was ich gerne mit Ihnen besprechen würde, ist mein Verfolgungswahn wegen der Zeitung. Weil die uns doch so bedrängt haben damals, fühle ich mich immer noch verfolgt von ihnen. Ich gehe ja gleich zu Georg und werde ihm als Überraschung eröffnen, dass wir das doch durchziehen. Aber ich habe dann immer so eine Angst, dass jemand davon ein Bild bekommen könnte, wie wir hässlich nackt, mit dicken Bäuchen, zu dritt im Bett bumsen. Auch wenn die das nie veröffentlichen dürften, stelle ich mir das immer vor. Zum Glück mache ich es mit meinem Mann und nicht heimlich, sonst müsste ich ja noch dazu Angst haben, dass die meine Ehe zerstören. Diese Boulevardschweine haben uns doch von allen Seiten so bedrängt, damals nach dem Unfall. Das Fernsehteam, hab ich Ihnen ja schon tausendmal erzählt, das sich ins Krankenzimmer meiner Mutter geschlichen hat. Ich habe diese Phantasie, dass ein Produzent so einer Sendung, mit viel Blut und Schuld an seinen Händen, irgendwann so etwas wie einen Schlaganfall bekommt und mal am eigenen Leib zu spüren kriegt, wie das so ist, seiner eigenen Branche ausgeliefert zu sein. Von Fotos erfahren, die irgendjemand erschlichen hat im Krankenhaus, auf denen er weit entfernt von vorteilhaft getroffen ist.«
»Frau Kiehl, Sie sind so böse. Das müsste ja dann eine richtige Genugtuung für Sie sein, dass mal wenigstens einer von all den Tätern alles zurückkriegt, was er anderen angetan hat.«
»Oh, ja, genau, ich bin böse gemacht worden. Sehr böse. Wissen Sie, was ich letztens geträumt habe? Ich habe ein Training absolviert, mit einem Leihwagen, damit Georg nichts davon mitkriegt. Ich habe auf einem Feld hinter einem Wald mit einem Backstein versucht, das Gaspedal des Autos runter zu drücken. Damit ich irgendwann dazu fähig bin, das Auto weiterfahren zu lassen und selbst rauszuspringen. Ich habe geträumt, dass ich den Herausgeber der Zeitung ausspioniert habe, und irgendwann wusste, wo er wohnt, wo er essen geht, wann er das Büro verlässt. Alles. Und ich wusste von einem Termin, der jedes Jahr wiederkommt,
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