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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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fragt nach, wann geh ich zum Opa, und wir antworten nett, als wäre es das Normalste der Welt. Wir reden auch nett über den Idioten. Oh, ja, toll, freust du dich schon, meine Kleine, zu deinem Opa, ja? Danach denke ich immer, mir fällt gleich vor lauter Lügengeschichten die Zunge ab. Ich gebe sie aber immer noch tausendmal lieber dem Opa mit als der Oma.«
    »Also Ihrer Mutter.« Sie lacht. Ihr mildes Lachen. Ich liebe sie! Ich bin ihr so dankbar. Das glaubt die nicht.
    »Ja, natürlich, Frau Drescher, Sie wollen, dass ich ›meine Mutter‹ sage. Sag ich aber nicht. So! Also, wenn Liza bei ihrer Oma ist, dann habe ich die ganze Zeit Todesangst um mein Kind. Ich stelle mir jede Minute vor, sie bringt sie nicht wieder. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, denke ich, es ist die Polizei, die mir von einem schrecklichen Unfall erzählen wird. In meinem Verständnis hat sie ja meine Brüder in den Tod gefahren, und das Gleiche wird sie mit meiner Tochter machen. Es ist schrecklich, dass ich praktisch wegen Ihnen, na gut, und auch wegen meiner Tochter, aushalten muss, dass sie da überhaupt hingeht. Fuck Therapie! Fuck Überforderung!
    Nur damit meine bescheuerte Tochter eine Oma hat, muss ich da durch. Weil Sie sagen, das muss so sein. Das ist sehr schwer für mich. Ich stelle mir vor, sie ist so wütend auf mich, dass ich ein Kind habe, ein kleines, und ihre Kleinen alle tot sind, dass sie sich rächt oder sterben will und mein Kind dabei mitnimmt. In unserer Familie ist das ja schon mal vorgekommen, dass die Mutter ein Kind mitnimmt. Mitnehmen wollte. Das steckt uns allen noch tief in den Knochen. Das große Familiendrama, in den Genen sozusagen.
    Ich finde, den Frauen in unserer Familie ist jeder Wahnsinn zuzutrauen! Inklusive mir. Ich würde eigentlich auch gerne meinen Traum in die Tat umsetzen, es kommt mir richtig vor. Aber wahrscheinlich ist mein Kopf kaputt! Höchstwahrscheinlich sogar! Haben wir noch was Zeit?«
    »Ja, ein paar Minuten haben wir noch.«
    »Finden Sie das nicht auch unglaublich, dass mein Mann ein Ferienhaus hat, das genau dort liegt, von allen Orten auf der Welt, wo der Unfall passiert ist, dass ich immer genau die Stelle mit dem Auto passieren muss, wo meine Brüder gestorben sind. Ich selber, fahrend, mit der ganzen Familie im Auto. Das ist doch komisch. Von allen Männern, in die ich mich hätte verlieben können, verliebe ich mich in den, der so ein Ferienhaus besitzt. Das finde ich wirklich krass. Ist das wohl ein Zeichen? Aber für was, haha, und von wem? Ich vergesse immer, dass ich überzeugte Atheistin bin!
    Wenn ich auf dem Weg in unseren ewig gleichen Urlaub immer die Stelle in Belgien passiere, an der angeblich meine Brüder gestorben sind, suche ich verbrannte Stellen auf dem Asphalt. Ich suche verbeulte Leitplanken, Kreuze. Finde aber nichts. Nie. Ich suche. Immer. Ich gucke auch in den Wald. Ich suche Überlebende, Nackte, Verwirrte. Der Wunsch ist groß, das Lenkrad einfach rumzureißen und uns allen ein weiteres anstrengendes, sinnloses Leben zu ersparen. Es ist das gleiche Gefühl, nur viel stärker, wenn ich oben auf Ihrem Balkon stehe, Frau Drescher, in die Tiefe gucke, elf Etagen tief, und eine Stimme in mir sagt: Spring, dann hast du deine Ruhe, auch vor Frau Drescher. Interessanterweise ist das ja, was ich meiner Mutter immer unterstelle, wenn sie mit meiner Tochter im Auto unterwegs ist. Genauso wie ich meinem Mann ständig unterstelle, dass er fremdgehen will, also früher, jetzt wär ich ja froh, obwohl eigentlich ich fremdgehen will, muss ich jetzt nach Jahren von Paar- und Einzeltherapie zugeben.«
    Wir sind aber auch sehr heftig zusammengekommen. Er hat mir gnadenlos alles über seine Sexualität erzählt. Ich machte auf, ließ alles rein und zerbrach erst mal dran. Es hat mich überfordert, als er mir alle Hardcore-Sexfotos zeigte, die er aus dem Internet zusammengesammelt hat. Ich wollte vor ihm und mir so tun, als wär ich cool und locker. Bin ich aber beides nicht. Das ging so rein. All diese Bilder von Frauen und ihren inneren Schamlippen. Er wollte nicht mehr, wie es früher immer war, alles heimlich hinter dem Rücken seiner Frauen tun. Das verstehe ich auch. Wie auch bei der Prostitution hatte er den Wunsch der weiblichen Absolution. Er will ohne schlechtes Gewissen sexuell sein. Das war aber mal eine Überforderung für mich! Für die kleine Elizabeth. Puh.
    »Er hat schon oft zugegeben, dass es wohl ein Riesenfehler war, mich einzuweihen. Mittlerweile

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