Schottische Ballade
müssen uns beeilen“, drängte Harry. „Eneas und seine Leute haben die Weggabelung erreicht, und wir verlieren sie aus den Augen.“
Rowena hob den Kopf und sah, wie Eneas von der Spitze der Kolonne sie über seine Schulter hinweg anblickte. Der hasserfüllte Blick in seinen Augen beantwortete die Frage. Er würde wohl nichts lieber tun, als sie verlieren ... oder zusehen, wie sie einem tödlichen Unfall zum Opfer fiel. „Komm, Harry. Lass uns eilen.“
Die Worte waren kaum Rowenas Mund entschlüpft, als sie gedämpfte Hufschläge hinter sich vernahm, unter die sich leise Männerstimmen mischten.
„Vielleicht sind es Späher von Blantyre, die uns willkommen heißen“, flüsterte Rowena.
„Nein, sie kommen zu schnell.“ Harry zog das Schwert. „Rasch, seht zu, dass Ihr Eneas und die anderen erreicht“, rief er eindringlich.
Zu spät. Männer hoch zu Ross brachen in großer Zahl aus dem Dickicht hervor. Sie schwangen ihre Schwerter und brüllten dazu, dass einem das Blut in den Adern erstarrte.
Eneas zeigte sein wahres Gesicht. Oder vielmehr seinen Rücken. Er entfloh der angreifenden Horde, ohne einen Blick zurück zu werfen. Seine Gefährten drängten hinter ihm her wie ein Rudel auf gescheuchter Karnickel.
„Heilige Maria, wir sind verloren!“ schrie Rowena.
Harry wirbelte herum und stellte sich den heransprengenden Männern entgegen. „Reitet, Mylady“, brüllte er. „Haltet nicht eher an, bis Ihr Blantyre erreicht habt.“
Es blieb keine Zeit, darüber zu streiten, oder Harry auch nur zu danken. Rowena stieß ihrem Pferd die Stiefel in die Flanken und galoppierte den Pfad entlang, den auch Eneas genommen hatte. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, Domengestrüpp zerrte an ihrem Kleid. Hinter sich hörte sie, wie Klinge auf Klinge traf, dann folgte ein schrecklicher Schrei.
Harry.
Es war keine Zeit zu trauern, keine Zeit für Schmerz und Bedauern. Rowena dachte nur daran, im Sattel zu bleiben und das Pferd auf dem Weg zu halten. Sie war eine kleine Weile geritten, ehe sie die donnernden Hufschläge ihrer Verfolger vernahm.
„Schneller! Schneller!“ rief Rowena drängend und gab dem Pferd die Sporen. Als das Tier strauchelte, drohte ihr Herz stillzustehen. „Nein.“ Sie riss an den Zügeln, mühte sich, das Gleichgewicht zu halten, und betete um ein Wunder. Es ward ihr nicht gegeben. Das Tier wieherte auf, als es zusammenbrach und Rowena in hohem Bogen aus dem Sattel flog.
Hart schlug sie auf dem Boden auf. Um sie herum wurde es Nacht, ein Nebelschleier senkte sich über sie. Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie hatte den Geschmack von Blut und Schlamm im Mund.
„Jagt hinter den anderen her, ich kümmere mich um die Dirne“, rief eine dröhnende Stimme.
Rowena wühlte mit den Händen im weichen Erdreich, als sie versuchte, in ein Versteck aus Laubwerk zu kriechen, das einen Fuß entfernt war. Derbe Hände griffen nach ihr, packten sie an den Schultern und rissen sie hoch. Ihre Füße baumelten in der Luft, und sie kam sich vor wie ein Fisch am Angelhaken.
„Sieh da, sieh da ...“ Selbst durch den Nebelschleier hindurch war das Gesicht ihres Peinigers noch erschreckend deutlich zu erkennen. Seine groben, brutalen Züge waren von Sonne und Wind gegerbt. Die finsteren Augen standen dicht beieinander, das schwarze Haar war ungepflegt und verfilzt. „Sie ist ein wenig verdreckt, indes, wenn sie sauber ist, mag sie angehen.“
„Ich will aber nicht warten“, schnarrte eine mürrische Stimme. Der Kerl, der das sagte, war kleiner als sein ungeschlachter Spießgeselle und sah besser aus, wenn man die Niederträchtigkeit in seinem blassen Gesicht außer Acht ließ.
Entsetzen verjagte die Benommenheit in ihrem schmerzenden Kopf. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte mit anmaßender Stimme: „Nehmt Eure Hände von mir.“
Der Rohling lachte. „Sieh an, Dickie, mein Junge, wir haben keine Stallmagd erwischt, sondern eine feine Dame.“
„Sie sieht aber nicht sehr fein aus ... und es macht für mich auch keinen verdammten Unterschied, wer sie ist.“ Dickie griff nach den Bändern, die ihr Gewand vorne zusammenschnürten.
„Haltet ein!“ rief Rowena. Sie hasste das Zittern in ihrer Stimme. „Ich bin Lady Rowena Gunn und mit meinen Clansleuten in wichtiger Angelegenheit auf dem Weg zum Earl of Buchan. Wenn ihr mich unversehrt nach Blantyre Castle bringt, wird Euch mein Bruder reichlich belohnen.“
Die Augen des Rohlings verengten sich abschätzend. „Dickie und ich haben
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