Schottische Disteln
nicht. Jetzt noch nicht.« Sie schüttelte den Kopf, entzog sich seiner verführerischen Nähe und setzte sich wieder.
»Na gut, ich verstehe dich.«
»Vielleicht später einmal, ich mag das Haus und das Gelände, und ich werde es oft von Tradespark aus aufsuchen, wenn es dir recht ist.«
»Natürlich. Ich würde mich freuen. Vielleicht fühlst du dich dort genauso wohl wie ich. Das Land strömt so viel Frieden aus.«
Er setzte sich auf die Fensterbank und drehte ihr das Profil zu. Sie sah die tief liegenden Augen unter buschigen Brauen, die leicht gebogene Nase und das energische Kinn. Sie sah aber auch die harten Falten, die das Leben in dieses Gesicht gezeichnet hatte, und die sensiblen Lippen, die ihr besonders gefielen. Ein Mann mit einem ungewöhnlichen Charisma, dachte sie, und davor musste man sich in Acht nehmen.
Ryan sah nach draußen, von Süden her zog eine Wolkenwand herauf, hoffentlich kündigte sie nicht einen Wetterwechsel an. Der Spätsommer hier oben an der Küste konnte schnell in einen kühlen Herbst hinüberwechseln, und Schneefall in den Highlands war im Oktober keine Seltenheit.
Das Gespräch war nicht so verlaufen, wie er es gehofft hatte. Aber was wollte er? Er konnte nicht erwarten, dass diese Frau diese Liebe, die ihn wie ein Blitz getroffen hatte, spontan erwiderte. Er musste ihr Zeit lassen, mehr konnte er nicht tun:
Er sah auf sie hinunter, wie sie dasaß mit dem Seidentuch auf dem Kopf, mit den Schmerzen im Rücken und den hübschen Händen, die mit dem Armreif spielten.
»Andrea, darf ich dich nach Tradespark bringen und dich dort besuchen?«
»Natürlich, Ryan, ich würde mich sehr freuen. Was ist eigentlich aus meinem Leihwagen geworden?«
»Wir haben ihn in Aberdeen zurückgegeben und den Verlag benachrichtigt.«
»Danke. Aber ich werde wieder ein Auto leihen müssen. Wenn meine Freundin mit meinen Plänen einverstanden ist, kann sie mich hier besuchen und in meinem Wagen herfahren, dann bin ich wieder selbst motorisiert.«
»Du brauchst hier kein Auto zu leihen. Ich habe genügend Firmenwagen, von denen du einen haben kannst. Das ist kein Problem.«
»Danke, das Angebot würde ich annehmen. Ich muss natürlich ziemlich rechnen in Zukunft.«
»Ich weiß.« Ryan schloss den obersten Kragenknopf und zog die Krawatte zurecht. Er versuchte immer, so leger wie möglich bei Andrea aufzutreten, um den Unterschied zwischen dem Schäfer und dem Mann in Designeranzügen klein zu halten. Irgendwann würde sie sich auch daran gewöhnen, aber, wie sie gesagt hatte, in den Schäfer war sie verliebt, der Fabrikant war ihr fremd. Noch! Eine hartnäckige resolute Person, dachte Ryan und sah sie liebevoll an, aber gerade ihr Widerstand war es, der ihn reizte, und dass er den letztlich besiegen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick.
Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Was macht das Haar?«
»Es wächst, Ryan. Ein kleiner brauner Schimmer ist schon da, und jeden Tag wird er ein bisschen dichter.« Sie sah ihn mit ihrem lebhaften Lächeln an, und dann fragte er einfach: »Darf ich dich küssen?«
»Ja ...«
Er kniete neben dem Sessel, nahm ihr Gesicht in beide Hände und berührte zärtlich ihre Lippen. »Alles wird gut, Andrea, verlass dich darauf.«
Er küsst wie ein Schäfer, dachte Andrea glücklich, als er gegangen war, und kuschelte sich behaglich in ihren Sessel.
Und Ryan, auf dem Weg zurück zur Werft, dachte: Sie ist das schönste Mädchen, das mir je begegnet ist. Sie ist frisch und lebendig, und ihr Aussehen zeugt von innerem Frieden, von Ausgeglichenheit und seelischem Einklang. Ihr Zauber liegt in ihrer Natürlichkeit, und sie weiß überhaupt nichts davon.
Es regnete seit zwei Tagen. Andrea stand am Fenster und sah hinaus. Seit vier Wochen war sie nun hier in der Klinik, morgen würde Ryan sie nach Tradespark bringen. Hoffentlich besserte sich das Wetter bald. Sie freute sich auf die Spaziergänge. Die Heide würde nun nicht mehr blühen, aber Stechpalmen und Ginstersträucher, Wacholder und Wildkräuter würden die Hügel schmücken.
Sie sah hinüber zum Hafen, zum Industriegelände und zu den Werften. Hier wurde wegen des schlechten Wetters Tag und Nacht mit Licht gearbeitet. Weiße, gelbe und orangerote Lichtbündel brachen sich an den niedrigen Wolken. Es wurde zeitig dunkel an diesen Regentagen. Auch heute ließ die Dämmerung nicht mehr lange auf sich warten. Was mochte Ryan gerade tun? Es fiel ihr schwer, ihn als Geschäftsmann hinter einem noblen
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