Schottische Engel: Roman (German Edition)
sagte es ja vorhin, mein Notizbuch in einer Telefonzelle gefunden, und er hielt es für richtig, mir dieses Büchlein persönlich zu übergeben. Die Adresse stand ja drin. Und wie ich jetzt feststelle, hat er es auch gründlich studiert, denn woher hätte er sonst meine Telefonnummer?«
»Die herauszubekommen ist nicht leicht, das kann ich bezeugen. Und warum nun dieser Anruf heute?«
»Wir hatten uns damals ein bisschen über meine Arbeit unterhalten, und er war der Meinung, ich sei genau die richtige Expertin für seine Sammlungen. Er wüsste nie, wem er wirklich trauen könnte. Aber ich habe das Angebot abgelehnt. Ich hatte das Gefühl, er tat dies aus Mitleid, weil ich finanziell nicht gerade auf großem Fuß lebe. Das sieht man ja, wenn man sich hier umschaut. Und außerdem, so ein Mann mit Limousine und Chauffeur kann einem ja viel erzählen. Der Lord hat mich auch vor so einem Typen gewarnt.«
»So, so, der Lord weiß davon.«
»Ja, wie gesagt, er hatte mir ja auch einen Job in seiner Produktionsgesellschaft angeboten, falls mich das Museum vor die Tür setzt. Aber Angebote, die auf Mitleid basieren, will ich nicht.«
»Bravo. Und wie ging es dann weiter mit dem Milliardär hier in diesem Sessel?«
»Nichts ging weiter. Er ließ seine Visitenkarte hier und meinte, wir sehen uns wieder.«
»Und nun dieser Anruf.«
»Und nun dieser Anruf!«
Grantino füllte noch einmal Whisky in die Gläser. »Was werden Sie machen?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich muss natürlich dem Engel nachgehen.«
»Das bedeutet, Sie werden Herrn Södergren aufsuchen.« »Wie soll ich sonst an den Engel kommen?«
»Da sollte das Museum einspringen.«
»Mit denen muss ich zuerst sprechen. Aber wenn der Södergren erfährt, dass das größte schottische ›Museum of Art History‹ hinter seinem Kauf, der möglicherweise nicht sehr korrekt war, gekommen ist, lässt er den Engel vielleicht verschwinden.«
»Nach Schweden gegebenenfalls, dann ist er für Schottland erst einmal wieder verschollen.«
»Genauso ist es.«
»Ich denke, Sie sollten auf jeden Fall mit Ihrem Chef sprechen und ihn um Rat fragen. Sie brauchen ja nicht sofort zu verraten, wo sich die Skulptur befindet. Wenn man die Frage mit dem Verschwinden des Engels genauso sieht wie wir, dann rät man Ihnen womöglich, die Sache erst einmal allein in die Hand zu nehmen.«
»Das könnte sein.«
»Wenn es dazu kommt, dann möchte ich Sie begleiten. Bitte gehen Sie nicht allein zu diesem Mister Södergren. Er ist bestimmt ein kultivierter, ehrenwerter Mann, aber wenn so ein Mensch in seiner Leidenschaft verletzt wird, kann er unberechenbar werden.«
»Himmel, worauf habe ich mich da eingelassen?«
»Versprechen Sie mir, nicht allein zu gehen?«
»Ja, danke. Und jetzt brauche ich noch einen dritten Whisky. Ich danke Ihnen wirklich sehr. Ich hätte hier niemanden, den ich um Rat fragen könnte.«
»Und der Lord?«
»Der Lord ist nun weit weg und muss mit seinen eigenen Problemen fertig werden.«
»Nehmen Sie sein Angebot an?«
»Vielleicht, wenn ich es mit meiner Arbeit vereinbaren kann, könnte ich ihn nebenbei beraten. Wenn das Museum mich vor die Tür setzt, wird mir nichts anderes übrig bleiben als zuzugreifen.«
Sie nahm ihr Glas in die Hand. »Doktor, Sie sind ein wirklicher Freund, ich würde gern ›Du‹ zu Ihnen sagen.«
»Das ist es, was ich schon den ganzen Abend sagen wollte. Mary, auf unsere Freundschaft.« Schneller als Mary aufstehen konnte, war er schon vor ihrem Sessel, griff nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen und flüsterte: »Auf eine gute, ehrliche, lebenslange Freundschaft.« Sie stießen an, dann küsste er sie zärtlich und dann sah er auf die Uhr. »Himmel, vor zwei Stunden hat mein Nachtdienst angefangen. Ich habe außer dir nur einen wirklichen Freund hier, und der wird ziemlich sauer sein, weil ich ihn nicht abgelöst habe.«
XI
Zufrieden legte Christian Södergren den Hörer aus der Hand. ›Die Lady ist zuverlässig‹, dachte er, ›sie wird schon kommen ‹ Er hatte sich inzwischen gründlich über die Arbeit und den Werdegang von Mary Ashton informiert. Ohne Einzelheiten zu verraten, hatte er sich im ›Museum of Art History‹ nach ihr erkundigt und nur Lobenswertes über ihre Arbeit und ihre Kompetenzen erfahren.
Im Großen und Ganzen war man dort mit ihr zufrieden, obwohl eine gewisse Zurückhaltung zu spüren war, als sei in letzter Zeit nicht alles so gelaufen, wie man von ihr erwartet hatte. Und denselben Eindruck
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