Schottische Engel: Roman (German Edition)
die Geheimnummer seiner schwedischen Residenz in Stockholm. Als dort der Hörer abgenommen wurde, setzte er sich gemütlich hin und erklärte: »Greta, ich brauche dich hier.«
»Wann und warum?«
»Frag' nicht lange, komm. Ich schicke dir morgen Früh die Maschine, dann kannst du morgen Abend hier sein.«
»Für wie lange?«
»Keine Ahnung. Komm einfach.«
»Dann bis morgen.«
Der Hörer wurde aufgelegt, und Södergren lehnte sich zufrieden zurück. Auf Greta war immer Verlass. Sie war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Sie war immer für ihn da, sie verstand ihn ohne Worte, sie war seine linke Hand, wenn er die rechte war. Nachdem seine Frau vor zwölf Jahren auf mysteriöse Weise nachts von seiner Jacht verschwunden und nie wieder aufgetaucht war, hatte Greta ganz selbstverständlich den Platz an seiner Seite eingenommen. Sie war eine gut aussehende, kluge Frau, die nicht nur ihren Verstand gebrauchte, wenn es um komplizierte Angelegenheiten ging, sondern die auch ihr Herz sprechen ließ, wenn sie es für richtig hielt. Er schätzte ihre Gespräche, selbst wenn sie in heftige Diskussionen ausarteten, er schätzte ihre Meinungen und ihre Ideen, ihre Toleranz und ihre Bescheidenheit. Aber am meisten schätzte er das Vertrauen, das zwischen ihnen herrschte. Schon als Kind hatte ihm die drei Jahre ältere Schwester die Liebe geschenkt, die ihre Mutter den Kindern nie hatte zukommen lassen, hatte ihm geholfen, wenn er allein nicht weitergekommen war, und hatte sich zurückgezogen, als seine Frau Vivien in sein Leben getreten war. Und dann, als Vivien bei Nacht und Nebel mitten auf der Ostsee verschwunden war, hatte sie wieder an seiner Seite gestanden. Mit ihrer Hilfe hatte er die Trauer und die demütigenden Vernehmungen durch die Polizeibehörden überstanden und schließlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen können. Und jetzt brauchte er sie, um Mary Ashton für sich zu gewinnen. Ja, jetzt brauchte er Greta.
Greta selbst hatte nie geheiratet. Sie hatte den Vater bis zu seinem Tod gepflegt, und dann hatte sie sich um Christian gekümmert, als er plötzlich wieder allein war. Auf eine eigene Ehe angesprochen, hatte sie ihm lachend versichert: »Ich habe genug mit euch zu tun, ein dritter Mann wäre nicht zu verkraften.« Und dabei war es geblieben.
Södergren lächelte in Erinnerung an seine fröhliche Schwester, dann rief er seinen Sekretär an: »Sorgen Sie dafür, dass meine Schwester morgen in Stockholm abgeholt wird.« Und danach gab er der Haushälterin den Auftrag, alles für den erwarteten Gast vorzubereiten. Zufrieden lehnte er sich schließlich zurück. ›Das ist der Vorteil vom Reichtum, es gibt immer Leute, die alles erledigen, dachte er zufrieden.‹
Er ließ seine Gedanken durch die Nacht schweifen. Es gab Tage oder auch Nächte, in denen er sich den Luxus von Träumen erlaubte. Es passierte nicht oft, dass er sich in Erinnerungen verlor oder in Hoffnungen schwelgte. Aber im Augenblick hatte er diese Phase, und er wusste, dass seine Begegnung mit Mary Ashton der Grund dafür war. Den Gedanken, dass sie altersmäßig seine Tochter sein konnte, ließ er gar nicht erst aufkommen Sie interessierte ihn nicht als Tochter, sondern als Frau. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte das Gefühl unbestimmbarer Sehnsucht ihn überwältigt, als er sie damals vor sich gesehen hatte, nass, in ein Handtuch gewickelt und überhaupt nicht verlegen. Als sei es die natürlichste Sache der Welt, hatte sie ihn hereingebeten, die Wohnungstür und ihr Vertrauen weit für ihn geöffnet. Erst als sie dann in ihrem schlichten weißen Hosenanzug vor ihm gestanden hatte, hatte er bemerkt, was für eine attraktive Frau sie war. Aber da war ihm bereits bewusst geworden, dass er sie mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft begehrte. Nicht unbedingt als Gespielin für erotische Vergnügen, sondern als Objekt einer wundervollen Liebe.
Natürlich wusste er auch, dass er eine Frau mit solchen Wünschen nicht überfallen durfte. ›Ich werde sie langsam, behutsam und voller Sanftmut gewinnen‹, dachte er und lächelte still vor sich hin. ›So, wie ich um meinen Engel gekämpft, gerungen und gelitten habe, werde ich sie ganz bestimmt nicht gewinnen, ihr werde ich alle Zärtlichkeiten schenken, die sich eine geliebte Frau nur wünschen kann. Und das in aller Ruhe, mit viel Rücksicht und viel Gefühl, und genau dafür brauche ich Greta mit ihrer Menschenkenntnis und ihrer Geduld.‹
Zufrieden leerte er
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