Schottische Engel: Roman (German Edition)
erwerben.« ›Ja‹, dachte sie, ›mit genau diesen Worten werde ich auf Vorwürfe reagieren.‹
Während sie sich durch den morgendlichen Verkehr drängte, dachte sie an David McClay, der die Meinungsverschiedenheiten, die Intrigen und die komplexen Wünsche seiner Mitarbeiter bekämpfen musste. ›Leicht hat der es auch nicht‹, überlegte sie. ›Diese Stars und Sternchen, die sich alle als außergewöhnlich und unübertrefflich ansehen, die glauben, unersetzbar und einmalig zu sein – nein‹, erinnerte sie sich, ›mit seinen Kämpfen möchte ich es nicht zu tun haben.‹
Und mitten im Großstadtverkehr sah sie ihn wieder vor sich, den großen, gut aussehenden Mann mit der charismatischen Ausstrahlung und den zärtlichen Händen. ›Ja, seine Hände mag ich besonders gern. Als er mir über das Haar strich, als er meine Hände hielt, gestern, als ich mich verabschiedete – immer waren es seine Hände, die mich bis ins Innerste erregten, und sogar heute noch, mitten in der Rushhour, sind es seine Hände, die diese Sehnsucht nach Geborgenheit in mir auslösen.
Heute Abend rufe ich ihn an und erzähle ihm, wie es mir ergangen ist. Er hat ein Recht darauf, und ich habe die Möglichkeit, ihn zu hören. Dann wird mich seine Stimme beruhigen, und wenn ich seine Hände auch nicht fühle, wird mir diese Stimme guttun.‹
Sie hatte das ›Museum of Art History‹ erreicht und bog in die Einfahrt zum Parkplatz ein. ›Gott sei Dank haben wir hier feste Plätze‹, dachte sie zufrieden und stellte ihren Wagen ab. Der Platzwächter grüßte sie mit einem Kopfnicken, und sie winkte ihm kurz zu. Dann nahm sie ihre Tasche aus dem Wagen, verschloss das Fahrzeug mit dem Funkknopf am Schlüssel und wandte sich dem dreistöckigen gelben Gebäude mit den beiden Seitenflügeln zu. Die große Freitreppe war dem Publikum vorbehalten, die Angestellten mussten eine unscheinbare Seitentür benutzen. Aber auch hier kontrollierte ein Pförtner die Eintretenden, und nur mit dem codierten Ausweis vor dem Kartenlesegerät öffnete sich die Tür. Sie ging die Treppe in das Kellergewölbe hinunter, denn die meisten Arbeitsräume der Angestellten und Mitarbeiter befanden sich im Souterrain.
Auch Mary arbeitete hier unten. Aber der Raum, der ihr zur Verfügung stand, war hell, denn die drei Kellerfenster waren groß und gingen zum Hof hinaus, wo fast den ganzen Tag helles Licht hineinschien. Das benötigte sie unbedingt für ihre Arbeit. Es gab zwar genug Apparate, die durch Röntgenstrahlen, Infrarotanalysen, Spektroskopie und Computertechnik bei der Echtheitsbestimmung von Hölzern, Farben, Lacken oder Patina halfen, Mary aber hielt gutes Tageslicht für unverzichtbar.
Sie war die Erste an diesem Morgen. Sie schloss ihren Spind auf, legte Mantel, Mütze und Handschuhe ab und zog ihren weißen Arbeitskittel an. Dann steckte sie die weißen Arbeitshandschuhe in die Seitentasche, schloss den Spind wieder ab und ging mit ihrer Tasche zum Telefon. Zuerst wollte sie das Geld loswerden, das sie nun seit Tagen mit sich herumschleppte und das ihr nicht gehörte. Sie meldete sich bei der Sekretärin von Professor Connor an und stieg dann die drei Treppen hinauf in die Direktionsetage. Im Museum herrschte Ruhe. Die Putzkolonnen hatten ihre Arbeit beendet, und der Besucherstrom hatte noch nicht eingesetzt, denn das Haus wurde erst ab zehn Uhr für Gäste geöffnet.
Mit Unbehagen, aber auch mit Trotz stieg Mary die drei Treppen hoch. ›Möglich, dass ich meine Arbeit verloren habe, wenn ich die Treppen wieder hinunterlaufe‹, dachte sie und richtete sich selbstbewusst auf. ›Ganz arm bin ich dann zwar nicht, ich habe immerhin zwei Arbeitsangebote, aber schade wäre es schon. Die Arbeit hier macht Spaß, und ich hatte meine ersten Erfolge in einem Haus, das in der ganzen Welt bekannt und berühmt ist.‹
Die oberste Etage des Haupthauses war ganz der Direktion und ihren Gästen vorbehalten. Hier trafen sich Sammler, Anbieter und Käufer kunsthistorischer Produkte, die oft Millionenwerte verkörperten. Diesem Besucherkreis musste das Haus gerecht werden. Der Flur, den die Gäste betraten, die selbstverständlich mit einem Lift diese oberste Etage erreichten, war mit wertvollen Orientteppichen bedeckt. Mahagonihölzer bestimmten die Einrichtung, meterhohe Grünpflanzen vermittelten einen exotischen Eindruck, und dezent verteilte Sesselgruppen machten das Warten auf ein interessantes Gespräch angenehm. Überall standen versteckt Tabletts mit
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