Schottische Engel: Roman (German Edition)
Bergen kam, und wollte laufen, seine Kraft und sein Temperament austoben.
Aber McClay hielt ihn eisern fest. Auf dem Hof wurde nicht galoppiert, und auch draußen, auf dem Weg in die Berge, musste der Hengst spüren, wer der Herr im Sattel war. Erst einen Kilometer vom Hof entfernt gab er dem Pferd die Zügel frei und spornte ihn an. »Nun zeig, was in dir steckt, mein Guter. Jetzt kannst du laufen, bis dir die Lust vergeht.« Das ging schneller, als Pferd und Reiter erwartet hatten, denn der Weg wurde steil, schmal und steinig.
David ließ den Hengst am langen Zügel gehen und genoss den Blick hinunter auf St. Mary's Loch und auf Dryhope mit der Ruine aus dem 16. Jahrhundert. Hier oben in fast sechshundert Metern Höhe wehte ein heftiger Ostwind. Er brachte zwar das sonnige Wetter, aber auch eine kalte Brise von der Nordsee mit.
David schloss den Reißverschluss an seinem Anorak und stellte den Kragen hoch. Lancelot folgte einem Wildpfad, der steinige Weg war längst zu Ende. Aber hier oben kannten Pferd und Reiter sich aus.
David erinnerte sich, wie er vor knapp zehn Jahren den Goldfuchs als Fohlen gekauft hatte. Er war schon damals kein graziöses, schlankes, hochbeiniges Fohlen gewesen, sondern hatte seinem Vater Lancordo geähnelt, einem eher schweren, stämmigen Hengst. Aber David, selbst über einen Meter achtzig groß und nicht gerade grazil, wenngleich er kein Gramm zu viel auf die Wage brachte, wollte ein Pferd, das zu ihm und seiner Statur passte. Und so hatte er sich kurzerhand für Lancelot entschieden. Er hatte ihn aufs Gut gebracht und so viel Zeit, wie er erübrigen konnte, mit dem jungen Hengst verbracht. So war aus einem unbändigen, von der Mutter so plötzlich getrennten Wildfang ein zuverlässiger Freund geworden.
David sah zu den Felsformationen hinüber, die sich links von ihm in der Ferne erhoben. Dorthin wollte er. Dort hatte er in den vergangenen Jahren die Weißkopfadler beobachtet. Er spornte das Pferd wieder an. »Komm, Lancelot, sonst schaffen wir den Weg nicht.«
Der Hengst trabte an, dann fiel er in den leichten, angenehmen Huntergalopp, mit dem er Kräfte sparend stundenlang über ebenes Gelände laufen konnte. Und eben war der Weg hier oben wieder.
Langsam näherten sich Ross und Reiter den steil hinaufragenden Felsen. ›Ein ideales Brutgebiet für die Vögel‹, dachte David, holte sein Glas aus der Satteltasche und hängte es sich um. ›Die steilen Felsen, schroff und senkrecht in die Höhe ragend, bieten den Vögeln absoluten Schutz vor Wildkatzen und zweibeinigen Nesträubern‹, überlegte er. ›Gleichzeitig können sie das Land bis hinüber zur Küste übersehen, wenn sie auf der Jagd sind.‹
In der Nähe der Felsen wurde das Land wieder uneben, kleine Hügel wölbten sich auf, Sträucher und Krüppelkiefern wuchsen im Schutz der Felsen aus den kargen Erdspalten. David ließ den Hengst wieder im Schritt gehen. Und während er dem sicheren Tritt des Pferdes vertraute, nahm er sein Fernglas und beobachtete den Himmel. Dann suchte er die Felsen ab. Er wusste genau, wo der Horst angelegt war, aber von den Adlern war auch hier nichts zu sehen. ›Sind sie gestört worden?‹, überlegte er. ›Oder bin ich zu früh hier oben? Vielleicht klappt es in diesem Jahr mit der Paarung nicht? Das wäre schade‹, dachte er, ›sie sind doch schon so lange zusammen, eigentlich müssten sie jetzt mit der Renovierung des Horsts beschäftigt sein.‹ Er lachte vor sich hin. ›Renovierung, wie albern, Menschen renovieren, keine Tiere.‹ Er hatte das Gehölz am Rand der Felsen erreicht und versuchte, Lancelot zwischen die Sträucher und Bäume zu treiben. Aber der Hengst wollte nicht, das Unterholz war zu dicht. »Na schön, dann bleibst du hier, und ich geh' zu Fuß. Ich muss nachsehen, ob ich frischen Vogelkot oder Abfälle von Beutetieren finde, dann weiß ich, ob der Horst bewohnt wird.«
Er stieg ab, wickelte die Zügel um einen Ast, lockerte die beiden Sattelgurte, klopfte dem Hengst den Hals und zwängte sich in das Gesträuch. Er war kaum hundert Meter weit vorgedrungen, als er ein paar Adlerfedern fand. Bestürzt hob er sie auf. Hatten die Vögel sich gegenseitig gejagt? ›Unmöglich‹, dachte er und sammelte eine Handvoll Federn auf. Langsam ging er weiter. Dann fand er eine beringte Kralle, Zeichen dafür, dass der Adler aus einer Aufzuchtstation stammte und vor Jahren ausgewildert worden war. »Verdammt«, fluchte er laut vor sich hin, »was ist hier passiert?« Er
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