Schottisches Feuer
auszuwählen, zu der er von der morgendlichen Jagd zurückerwartet wurde?
Dem dunklen Himmel nach zu urteilen, könnte es einer der letzten Jagdausflüge gewesen sein. Tief atmete sie ein. Die Aussicht auf einen frühen Schneesturm lag in der Luft.
Vorsichtig folgte sie dem feuchten Weg und runzelte die Stirn, als sie an der Gruppe von Frauen vorbeikam, die sich um den Brunnen herum versammelt hatte. Offensichtlich war sie nicht die Einzige, die sich die Zeit wohlüberlegt eingeteilt hatte. Sie bog um die Ecke und betrat den kleinen Gemüse- und Kräutergarten, der an der Westseite der alten Kapelle lag.
Wenig überraschend wimmelte es dort von jungen, unverheirateten Frauen, und auch ein paar verheirateten. Allerdings war sie überrascht, Beth dort zu sehen. Suchend sah Jeannie sich um, konnte ihre Tochter aber nirgends erblicken.
»Wo ist Ella?«, fragte sie das Kindermädchen.
Beth sah sie mit eigenartigem Blick an. »Ich dachte, sie wäre bei Euch. Sie ging vor etwa einer Stunde und wollte mit den anderen Kindern zum Unterricht.«
Die Härchen in ihrem Nacken sträubten sich, und Gänsehaut überzog ihre Arme, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. »Sie hat mich gebeten, ihr vom Unterricht freizugeben, und mir gesagt, du wolltest mit ihr Marys neues Baby ansehen gehen.«
Jeannie sah, wie sich ihre eigene Angst im Gesicht der jungen Magd widerspiegelte. Beths Augen weiteten sich, und sie schüttelte den Kopf.
Es besteht kein Grund zur Panik, redete Jeannie sich ein. O Gott! Ihr Herz raste, doch sie erlaubte sich keine finsteren Gedanken, bis sie die Burg durchsucht hatten.
Eine Viertelstunde später allerdings wusste sie, dass es kein Irrtum war. Ella war verschwunden.
»Wo könnte sie nur hingegangen sein?«, fragte das verzweifelte Kindermädchen mit kreidebleichem Gesicht und konnte die Tränen kaum zurückhalten.
Schnell ging Jeannie im Kopf die Möglichkeiten durch und blieb bei einer hängen.
Duncan und seine Männer waren zum Jagen in die Wälder nahe der Grampian Mountains aufgebrochen, und Ella musste ihnen gefolgt sein. Sie hatte geglaubt, Ella hätte es längst vergessen. In dem Gefühl von Sicherheit, das Duncans Einsatz auf der Burg ihr verlieh, hatte Jeannie ganz vergessen, wie stur ihre Tochter sein konnte – und wie findig. Während des Tages wäre es nicht schwierig für sie gewesen, sich davonzustehlen. Den ganzen Tag über gingen Leute durch die Tore ein und aus, und die Wachmänner interessierte es mehr, wer hereinkam, als wer hinausging. Sie würde zu Fuß unterwegs sein, es sei denn …
»Eines der Ponys fehlt, Mylady«, erstattete Adam ihr mit ernstem Gesicht wie aufs Stichwort Bericht. »Sie muss es sich genommen haben, als sie draußen vor den Toren grasten.«
Jetzt setzte Angst ein. Eiskalte Angst, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ und ihr bis in die Knochen drang. Angst, die ihr jeden vernünftigen Gedanken unmöglich machte. Sie fühlte sich, als würde sie von einem Mahlstrom herumgewirbelt, und versuche verzweifelt, sich daraus zu befreien.
Denk nach …
» Wie konntest du das nur geschehen lassen?«
Beim Klang der Stimme ihrer Schwiegermutter drehte Jeannie sich um. Die Marchioness war von ihrer Stickerei aufgeschreckt worden, als die Rufe laut wurden, die Burg nach dem vermissten Kind abzusuchen, und hatte sich zu Jeannie in den Hof begeben. »Ich hatte dich gewarnt, dass so etwas passieren könnte. Helen durfte völlig ungehindert herum …«
»Nicht jetzt!«, versetzte Jeannie, ausnahmsweise ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie die ältere Frau verärgerte. »Du kannst mich nach Herzenslust tadeln, wenn wir Ella gefunden haben, aber im Augenblick verschwendest du nur kostbare Zeit.«
Zu behaupten, die Marchioness war verblüfft, wäre eine Untertreibung. Zutiefst schockiert wäre passender. Doch sie nahm Jeannies Zurechtweisung mit überraschender Gnade hin. Sie mochten zwar ihre Schwierigkeiten miteinander haben, aber in der Liebe zu ihren Kindern waren sie sich einig.
»Was kann ich tun, um zu helfen?«
Jeannie würde sich daran erinnern müssen, später über ihre Kapitulation geschockt zu sein. »Wir müssen Suchmannschaften aufstellen.«
Adam, der Captain, trat vor. »Das ist bereits geschehen, Mylady. Ich fing sofort damit an, als ich hörte, dass das Kind vermisst wird.«
Zu angsterfüllt, um irgendetwas anderes als einen Hauch von Erleichterung zu verspüren, dankte Jeannie ihm. »Sie wird ihnen gefolgt sein. Weißt du, wohin sie
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