Schrecken der Nacht
Blumen geschmückt. Sie waren längst verwelkt. Es schien so, als wären sie dabei zu trauern, und dafür gab es auch einen Grund.
Vier tote Mönche!
Marek erschrak und verzog sein Gesicht, als er die Männer vor dem Altar liegen sah. Der Mörder hatte sie regelrecht aufgebahrt und dicht nebeneinander gelegt.
Marek nahm den Geruch der verwelkten Blumen auf, der sich mit dem Blutes gemischt hatte.
Der Abt hatte ihm berichtet, daß die Mönche gepfählt worden waren. Das stimmte auch. Marek brauchte sich nur die Wunden anzuschauen.
Die vier toten Mönche lagen friedlich nebeneinander. Nichts mehr war von dem Horror zu spüren, den sie in den letzten Sekunden ihres Lebens erlitten haben mußten.
Eros war allein gewesen, die Mönche aber zu viert. Sie hatten sich nicht wehren können. Das wiederum bewies, wie gefährlich der Schrecken der Nacht war.
Das Tagebuch des Radescu würde Marek hier nicht finden. Deshalb drehte er sich um und verließ die kleine Kapelle auf leisen Sohlen. Die Gänsehaut auf seinem Rücken blieb. Ihm kam jetzt richtig zu Bewußtsein, daß er der einzige Lebende innerhalb des Klosters war.
Er sah sich noch einmal um. Aus der Distanz gesehen und vom Kerzenlicht bestrahlt, wirkten die vier Toten wie Personen, die sich hingelegt hatten, um zu schlafen. Ein Spiel aus Licht und Schatten glitt über ihre Gestalten hinweg.
Marek machte sich über den Täter Gedanken. Er hieß Eros. Er wurde auch als Schrecken der Nacht bezeichnet, und Marek fragte sich, wohin er sich zurückgezogen hatte.
Befand er sich in der Nähe? Oder hatte er längst andere Pläne in Angriff genommen? Vielleicht hatte er sich auch irgendwo in der Düsternis versteckt, um den Einbruch der Nacht abzuwarten, denn sie war der Freund der Vampire. Das genau brachte das nächste Problem mit sich. War der Schrecken der Nacht ein Vampir? Der Abt hatte sich nicht genauer darüber ausgelassen. Man mußte es annehmen. Wenn es tatsächlich stimmte, war er auf der anderen Seite etwas Besonderes. Vielleicht ein Vampir, wie Marek ihn noch nie zuvor erlebt hatte.
Im Flur blieb er stehen. Die durch die Fenster fallende Helligkeit kam ihm vor wie Totenlicht. Da schien der Mond die Sonne mitten am Tag abgelöst zu haben.
Die Türen zu den Zellen waren nicht verschlossen. Marek nahm sie sich der Reihe nach vor, und er war überrascht, daß er nichts Persönliches mehr in diesen engen Räumen fand. Sie waren leergeräumt. Nur die Betten und die Regale waren noch vorhanden. Und auch die klobigen Stühle.
Als er die letzte Tür aufgeschoben hatte, wußte er sofort, daß er hier richtig war. Der helle Lichtstreifen, der durch das schmale Zellenfenster fiel, hatte ein Ziel gefunden. Es war eine kleine, auf dem Boden stehende Truhe. Direkt links neben der Tür, denn dort endete auch das Licht.
Marek lächelte. Er wußte, daß er das Ziel erreicht hatte. Er schob die Truhe in die Mitte der Zelle, setzte sich auf das schmale Bett und öffnete den Deckel.
Im ersten Moment war er enttäuscht, denn in dem Kasten lag nur Stoff, aber kein Tagebuch oder Ähnliches, was darauf hingedeutet hätte. Er riß den Stoff hervor – und seine Laune besserte sich. Der Blick des Pfählers fiel auf ein schmales Heft, wie es Schüler benutzten, wenn sie in den Unterricht gingen.
Für ihn gab es keinen Zweifel. Das mußte das Tagebuch sein. Er nahm es hervor und blies etwas Staub von der Oberfläche. Dann schlug er die erste Seite auf.
Sofort fiel ihm die gestochen scharfe Schrift ins Auge, mit der der Schreiber seine Notizen hinterlassen hatte. Die Sätze waren mit dunkler Tinte geschrieben worden, und Marek las diejenigen, die die erste Seite bedeckten, sich selbst mit halblauter Stimme vor.
»Ich, Bruder Radescu, schwöre bei Gott dem Allmächtigen, das alles, was ich hier niedergeschrieben habe, der Wahrheit und nichts als der reinen Wahrheit entspricht, so schlimm es sich auch lesen wird. Ich hoffe nur, der Nachwelt ein Erbe hinterlassen zu haben, wenn ich nicht mehr bin, aber ich bin dann mit der Gewißheit gestorben, alles getan zu haben, was in meinen Kräften steht. Ich weiß jetzt, daß es das Grauen gibt. Und ich weiß auch, daß das Grauen sehr subtil sein kann und alte Regeln plötzlich nicht mehr gelten. Ich habe es zunächst auch nicht glauben wollen, doch meine Forschungen haben mich der Wahrheit immer näher kommen lassen, und so bin ich auf dieses einmalige Phänomen gestoßen, das sich selbst Eros nennt, das ich jedoch als Schrecken der Nacht
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