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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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konnte.
    Von der Hintertür aus sah er zu, wie Nora das Heu hochhob und es dann auf dem Boden verstreute. Bei den Futterkosten und der Hypothek schafften sie es gerade eben so, nicht in die roten Zahlen zu geraten. Er hatte keine Möglichkeit gehabt, nein zu sagen zu dem, was Eddie angeboten hatte. Da draußen standen Quarter Horses und Hengste, die mehr kosteten als sein Haus, mehr als dieser ganze Betrieb. Hunt nahm die Bootsschlüssel von dem Haken neben der Tür und steckte sie in die Tasche. Er war warm angezogen, Jeans und Sweatshirt und weiße Tennisschuhe, damit er auf dem Boot nicht ausrutschte.
    Nora blickte auf, als er aus dem Haus trat, dann jedoch wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Er ging zum Zaun, hängte die Arme darüber und sah ihr zu.
    Er wartete. Nora beachtete ihn nicht, schaute nicht auf. Hunt dachte daran, dass keines dieser Pferde ihm gehörte. Jedes einzelne gehörte irgendjemand anderem. Ihre beiden – die beiden, die sie als Fohlen gekauft und aufgezogen hatten – waren im Gebirge verlorengegangen. Sie waren weg. Kein Brandzeichen oder Ähnliches, das verriet, wem sie gehörten. Er fühlte den Verlust, als er auf die Weide hinausblickte, wo sie hätten sein sollen, da draußen im Gras zwischen den anderen. Ihm war klar, dass diese Pferde ihm zu viel bedeuteten. Dass er sich wegen ihnen nicht so elend fühlen sollte. Für ihn waren sie wie Kinder, wie Menschen. Manchmal, das wusste er, zog er sie den Menschen vor, verstand sie besser, ihre Gewohnheiten, ihre Bedürfnisse. Die beiden Pferde waren weg, und nichts, was er tun oder sagen konnte, würde sie zurückbringen.
    Eins war tot, das wusste er, durch den Kopf geschossen. Was mit dem anderen geschehen war, mit der Stute, die der Junge geritten hatte, wusste er nicht. Jetzt war sie verloren, konnte nach allem, was er wusste, ebenfalls tot sein, doch er hoffte, dass es nicht so war.
    »Nora«, sagte er. Sie sah ihn nicht an. Hunt wartete noch einen Moment, überdachte die ganze Situation. Er hatte nicht viel Zeit. »Ich muss los.«
    Sie legte die Heugabel weg und kam auf ihn zu. Die Pferde dort draußen mit ihren Heuhaufen. Mehrere goldene Haufen zur Auswahl, und die verbliebenen sechs Tiere standen davor. Er sah, wie eines der kräftigeren, ein großer Brauner, sich umdrehte und ihn betrachtete. Das könnte es gewesen sein, dachte er bei sich, das könnte jetzt alles gewesen sein, und es könnte vorbei sein.
    Nora kam zum Zaun und zog die Handschuhe aus. Es war noch früh, und der Nebel stieg von der Wiese auf, als die Sonne hervorkam. Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm, und er konnte fühlen, wie die Wärme und der Schweiß ihrer Handfläche sich auf ihn übertrugen. »Ich wollte gestern Abend nicht sagen, dass du selbstsüchtig bist«, sagte Nora. Sie sah weg, dorthin, wo sie bei den Pferden gestanden hatte. »Ich bin bloß wütend, das ist alles. Das Ganze macht mich einfach dermaßen wütend.«
    Hunt legte seine Hand über die ihre. »Ich weiß«, sagte er. »Aber das gehört dazu. Das heißt einfach nur, dass uns das alles so wichtig ist, dass es uns von Zeit zu Zeit unter die Haut geht.«
    »Wir brauchen das nicht zu tun, das weißt du ja.«
    »Doch.«
    »Nein, ich meine das hier. Diese Pferde. Wir brauchen diesen Betrieb nicht. Wir brauchen das nicht zu tun.« Wieder sah sie zu den Pferden hinüber, dann verlor sie sich eine Weile in ihren Gedanken, blickte zum Ende des Grundstücks hinüber, auf etwas, das Hunt nicht sehen konnte. »Wir können uns etwas suchen, das besser zu uns passt.«
    »Das hier passt zu uns«, entgegnete er. »Etwas anderes kenne ich nicht. Für mich gibt es nichts anderes.«
    Nora schnitt eine Grimasse, und er hörte sie seufzen. »Warum gehen wir nicht einfach weg?«, fragte sie.
    Jetzt war es an ihm, zu seufzen. Er sah sie an, dann schaute er weg, zu dem Truck hinüber, der jenseits des Rasens auf ihn wartete. Er würde ihr den Gefallen tun.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Können wir nicht zu den San-Juan-Inseln rauffahren? Zu diesem Ferienort, wo wir damals gewohnt haben? Fändest du das nicht schön?«
    Als er sich zu ihr umdrehte, konnte er jenen eindringlichen Blick in ihren Augen sehen, als glaubte sie, sie würden das tatsächlich tun, als könnte er einfach davonlaufen, als wäre es so leicht, einfach einen Koffer zu packen und auf die Inseln abzuhauen. »Du weißt doch, dass das nicht geht«, erwiderte er.
    »Doch«, beharrte sie. »Wir können uns was aufs Zimmer bringen lassen und

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