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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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ihnen war, wie es am Anfang mit ihnen gewesen war, als sie die Hände nicht voneinander hatten lassen können, Tag und Nacht das heiße Blut in den Adern, wie es ausgehungert zum Herzen zurückpulste.
    Danach, in den mittleren Jahren, hatte das Leben sich angefühlt, als versuchten sie, irgendetwas auszufüllen, es wie Zement über die Fragen ihres Lebens zu gießen. Die Antworten waren dort unten, doch der flüssige Stein ergoss sich einfach hinein. Wieder und wieder waren sie beim Arzt gewesen, wegen einer Schwangerschaft, nur um in dasselbe Haus zurückzukehren, zu denselben ungenutzten Zimmern und der Leere.
    »Gibst du mir die Schuld?«, hatte Nora gefragt; sie lagen beide in der völligen Schwärze ihres Zimmers, die Rollos heruntergezogen und nirgends Licht, um ihm zu zeigen, dass die Stimme, die er hörte, überhaupt die seiner Frau war. Er tat so, als schliefe er. Drehte sich im Dunkeln von ihr weg, die Augen weit offen, fühlte, wie die Feigheit tief in ihm wuchs, und sagte nichts. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Da hatte sie ihn verlassen, war aus dem Bett aufgestanden und gegangen. Er hörte, wie der Wagen ansprang, und er lag da, lauschte den Nachtgeräuschen hinter dem Fenster, Autos auf der nahe gelegenen Straße, das Rauschen des Windes, der sich durch die Äste der Erlen drängte. Das ist es, so endet es, dachte er. Kein verzweifeltes Hinausstürzen zur Auffahrt, kein Türaufreißen und Flehen, dass sie zurückkommen möge. Ihm war, als vergingen Stunden. Er starrte in das dunkle Zimmer hinauf, und als er aufstand, um im Haus umherzuwandern, um irgendeine Rettung in dem Leben zu suchen, das er geführt hatte, sah er Nora draußen jenseits des Fensters. Der Motor lief, die Scheinwerfer waren an, doch der Wagen war noch da.
    Dann hatten sie gar nichts gehabt, es hatte sich angefühlt, als sei ihnen alles genommen worden. Und die Wahrheit – hätte er denn irgendjemanden gehabt, dem er sie hätte anvertrauen können – war, dass die Möglichkeit, Erfolg zu haben, ihm Angst machte. Sie hatten vieles von dem abgearbeitet, was sich zwischen sie gedrängt hatte, viele der Probleme, die er in jener Nacht gespürt hatte, als er sie dort draußen im Auto beobachtet hatte.
    In den Jahren, die folgten, das wusste er, hatten sie eine Art Verständnisplateau erreicht, eine Art Partnerschaft, die sie zusammenhielt. Außerdem wusste er, dass Geld etwas ändern konnte, wusste, dass es die Dinge zum Guten verändern konnte, oder zum Schlechten. Hunt folgte dem Bergbach durch den Wald, dachte über all dies nach und stieß dabei auf höheres Gelände; er führte den Jungen voran, hangaufwärts, bis sie in ein dichtes Kiefernwäldchen kamen. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, gar nicht mehr lange.
    Die Bäume wichen einer Wiese; der Bach wand sich von irgendwo über ihnen herab, und es gab nichts zu sehen außer Gras, flach und weit genau vor ihnen. Von irgendwoher aus weiter Ferne hörte er das schrille Pfeifen eines Murmeltiers, das dem Tal ihre Anwesenheit verkündete. Es wurde nicht gesprochen, nur die beiden Männer, die die Pferde führten, und die grauen Felsgesichter der Berge, die auf sie herabblickten. Spärliche Baum- und Felsgrüppchen klommen wie Ranken den Kamm entlang.
    Der Junge sah sich um, nahm all dies in sich auf. »Arbeiten Sie immer allein?«, erkundigte er sich und führte sein Pferd parallel zu dem von Hunt.
    »Meistens«, antwortete Hunt und sah sich nach einer Stelle um, wo sie ihr Lager unter den Bäumen verstecken konnten. »Warum fragst du?«
    »Das merkt man.«
    »Das hier ist nichts für die Personalabteilung, Kleiner.«
    »Ja, das stimmt«, pflichtete der Junge ihm bei. »Dafür braucht man ganz andere Kenntnisse.«
    ***
    Als er an der Baumgrenze herauskam und eine Stelle fand, wo er sich niederlassen konnte, legte Drake die 270er auf den Boden. Er holte eine Schlafmatte aus seinem Rucksack und breitete sie unter sich aus. Dann sah er nach der Sonne und schaute schließlich auf die Uhr. Es war fast Viertel nach fünf, und er hatte seit über sechs Stunden nichts gegessen. Am fernen Bergkamm konnte er einen Falken oder Adler im Aufwind emporsteigen sehen; Murmeltiere riefen einander zu, als der Schatten des Räubers über den Fels hinwegstrich. Er aß eines seiner eingepackten Sandwiches und holte das Fernglas hervor. »Was hast du denn erwartet?«, brummte er und fühlte die Verachtung in sich aufsteigen. Er betrachtete die Karte und schätzte, wo auf dem Grat er sich

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