Schreckensbleich
auf den Rücken geschnallt hatte, dass es für die Nacht reichen würde. Das passte gar nicht zu ihm. Nichts von alledem passte zu ihm; einfach so loszurennen. Das war etwas, was sein Vater getan hätte. Er ging weiter und dachte darüber nach, zu was für einer Art Mann er allmählich wurde.
Drake war in diesen Bergen aufgewachsen. Sein Vater hatte ihn hier aufgezogen, hatte ihn auf Wochenendausflüge mitgenommen. Die Talsohle lag in einer Höhe von etwa sieben- oder achthundert Metern, und während Drake durch Wiesen aus Ried- und Rispengras marschierte und den kleinen Bächen folgte, die sie durchschnitten, schaute er empor, um die Bergkämme mit dem Blick abzusuchen.
Er konnte den Duft von Bergglockenblumen riechen, und im Vorbeigehen streifte er mit einem Finger unter die Blumen und fing die welken rosa Blütenblätter mit der Hand auf. Er musste höher hinauf.
***
Hunt zog die topographische Karte hervor, hielt sie in der behandschuhten Hand und betrachtete sie. Dann warf er einen kurzen Blick auf die Uhr und stellte die Höhe fest, auf der sie sich befanden. Letzte Nacht hatten sie in einem Birkendickicht kampiert, und er hatte miserabel geschlafen; ein Kieselstein hatte sich auf dem unebenen Boden in seinen Rücken gedrückt. Einen Augenblick lang hatte er geträumt, er wäre wieder im Gefängnis. Dieses eingesperrte, einsame Gefühl war in seinen Träumen schlimmer, als es damals vor zwanzig Jahren gewesen war. Hohle Stimmen hallten durch Betongänge. Die armen, zerfressenen Seelen, die dort hausten, die Schwachen und die Ausgehungerten, gestammelte Sinnlosigkeiten, Rippen wie zwei Sätze Krallen, die sich über dem Brustbein trafen. Betäubt vor Grauen war er aufgewacht, die Zunge ganz hinten im Hals; sie trieb dort wie etwas, das ihn ersticken sollte. Er rollte sich herum und atmete die kühle Bergluft ein.
Hunt hatte seinen Truck und den Anhänger einen Tagesritt entfernt abgestellt, weit genug hinter ihnen, so dass das Gespann nicht entdeckt werden würde. Er hielt die Karte in einer Hand und lenkte sein Pferd mit der anderen voran. Als sie durch ein Kiefernwäldchen ritten, bückte er sich unter den Ästen hindurch und sog den Geruch des Pferdefells ein, seinen satten Glanz. Staub und Talg stiegen von der Stute auf und mischten sich mit der Luft. Sie war wunderschön. Er war stolz auf sie, auf das, was aus ihr geworden war.
Sie kamen durch ein Gewirr von Schwarzbeerenranken den Hang herunter, folgten dem Rand einer Geröllrinne; der Junge aß beim Reiten. Hunt stieg vom Pferd, schirmte die Augen mit der Hand ab und sah nach der Sonne. Seiner Schätzung nach hatten sie noch etwa drei Stunden Tageslicht. »Jetzt mal los, runter vom Pferd und hilf mir.«
Der Junge hob ein Bein über den Pferdehals. Halb rutschte, halb fiel er aus dem Sattel und umklammerte dabei die ganze Zeit das Sattelhorn. Hunt holte ein GPS aus der Satteltasche und warf abermals einen Blick auf die Karte. Sie standen in einem Dickicht aus niedrigen Erlen. Die weiße Rinde leuchtete um sie herum, und das Moos an den Bäumen wallte im Wind. »Wir sind nicht hoch genug«, stellte Hunt fest und zog den Höhenmesser des GPS zu Rate; dann sah er auf die Uhr, um sich zu vergewissern. Er reichte dem Jungen das GPS und marschierte los.
Dicht und verkrümmt zog sich das Erlenwäldchen das Tal hinauf, folgte einem schmalen Bach, und dies war der Weg, den sie einschlugen, die Pferde am Zügel.
Der Junge fluchte und hob den Fuß aus einer schwammigen Moorkuhle.
»Pass auf.«
»Hätte ja nicht geglaubt, dass ich das mal sage, aber es wäre schön, wieder auf dem Pferd zu sitzen.«
»Wir brauchen nur eine offene Wiese mit freiem Blick nach Norden zu finden, dann schlagen wir unser Lager auf und lassen die Pferde eine Weile frei laufen. Behalt einfach das GPS im Auge. Wir wollen nach Möglichkeit auf diesem Breitengrad bleiben.«
»Gibt’s am Ende dieses Regenbogens ’nen Topf voll Gold?«
Hunt drehte sich zu dem Jungen um, lächelte und erwiderte: »Wenn wir Glück haben, gibt’s da mehrere Töpfe.«
»Na, hoffentlich können Sie gut teilen«, gab der junge Mann zurück.
»Nicht besonders.«
Schweigend führten sie die Pferde weiter. Hunt dachte darüber nach, was er mit dem Geld, das er dafür bekam, alles machen konnte. Er ging dahin und addierte im Geist Dollars. Eine Weile sann er darüber nach, dachte an seine Frau Nora, an ihr gemeinsames Leben, und setzte geistesabwesend die Füße auf. Er dachte darüber nach, wie es mit
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