Schreckensbleich
Wade genäht, und er konnte erkennen, dass die Narbe die Form eines Sterns haben würde. Schon begann die Haut, die Wunden zu überdecken. Er spülte sie mit Wasser ab und reinigte sie dann mit Wasserstoffperoxid und Jod; dann ließ er sie einen Moment an der Luft trocknen, ehe er frische Kompressen darauflegte und das Ganze von neuem einwickelte.
Als er sich fertig gewaschen hatte, klaubte er Brieftasche und Schlüssel aus dem Gras und steckte sie ein. Er trug noch immer dieselben Kleider, in denen er aus dem Jachthafen ausgelaufen war, die Jeans auf einer Seite abgeschnitten, und seine weißen Sportschuhe, einer rot von getrocknetem Blut, der andere vom Schlamm dunkel verfärbt. Hunt hob die Adresse in Seattle auf, die er Thu abgenommen hatte, und hielt sie zwischen den Fingern. Eine leichte Brise spielte über seine nasse Haut. Grady hatte garantiert, dass er sterben würde. Das war das Einzige, dessen Hunt sicher war. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Wieder betrachtete er die Adresse; er wusste, dass er Hilfe brauchte, und hoffte, sie dort zu finden.
Er trug den Eimer auf die Wiese und stellte ihn zwischen die drei Pferde. Das Ding war nicht groß genug, dass alle drei gleichzeitig daraus trinken konnten, aber er hoffte, dass es die Nacht über reichen würde. Die große Appaloosastute kam zu ihm und trank aus dem Eimer. Er streckte ihr die Hand hin, und sie schnupperte nach Möhren. »Na dann«, sagte er und ließ das Pferd mit den Lippen an seinen Fingerknöcheln spielen. Er konnte den Staub riechen, der dort aufstieg, wo die Hufe des Tieres auf die Erde trafen. »Na dann«, sagte er noch einmal, hinkte zum Truck zurück und zog sich in die hohe Fahrerkabine hinauf.
Auf dem Sitz neben ihm stand die orangerote Notfalltasche. Er drehte den Schlüssel und spürte, wie der mächtige Dieselmotor ratterte und der Truck zum Leben erwachte.
Aus der Tasche holte er die Browning hervor, schob den Schlitten nach vorn und sah, dass bereits eine Kugel in der Kammer war. Er löste das Magazin und ließ es in seine Hand fallen, dann warf er die Patrone aus, lud sie ins Magazin und setzte es dann wieder ein. Schließlich überprüfte er die Sicherung, und als das erledigt war, schob er die Waffe unter seinen Sitz.
Die fünfzig Heroinkapseln steckten noch immer in dem durchsichtigen Plastikbeutel; ein leichter Fäkaliengeruch ging von ihnen aus. Hunt öffnete erst das Beifahrerfenster und dann sein eigenes, fühlte den Truck unter sich, die Hände am Lenkrad, das Grollen des Motors an den Fingerknöcheln und bis in die Arme hinauf. Er schwenkte von der Wiese weg und fuhr die ungepflasterte Straße hinunter. Als er den Asphalt erreichte, bog er nach Süden ab und fuhr weiter.
***
Nora saß auf dem Zementboden und folgte dem Knarren der Schritte über ihr mit den Augen.
Auf der anderen Seite des Raumes kauerte Grady sich neben die Tür und wartete, das Kochmesser in der einen und Eddies 22er mit dem Schalldämpfer in der anderen Hand. Er hob einen Finger an die Lippen. Draußen vor der Kellertür war das Knirschen von Kies zu vernehmen. Der Knauf ruckte kurz, und dann ertönte das leise Knacken von Glas. Ein Ellbogen rammte durch eine der vier übermalten Scheiben der Türverglasung; die Scherben, die auf den Zementboden fielen, waren das einzige Geräusch.
Eine Hand griff hindurch und entriegelte das Schloss. Das Messer noch immer fest in der Hand, gab Grady Nora ein Zeichen, sitzen zu bleiben. Die Tür schwang auf, und ein Vietnamese mit einer kleinen Maschinenpistole in der Hand trat hindurch. Grady wartete. Die Tür öffnete sich in den Keller hinein, der Mann war auf der einen Seite, Grady auf der anderen.
Augenblicklich heftete sich der Blick des Mannes auf Nora, die dort auf dem Zementboden saß. Hinter ihr, in der Mitte des Kellers, führte eine Holztreppe zum Erdgeschoss des Hauses hinauf. Der Mann suchte den Keller mit den Augen ab – ein Edelstahltisch, mehrere Werkbänke, und aus der Dunkelheit auf der anderen Seite des Kellerbodens das Summen eines Kühlschranks. Auf einer der Werkbänke sah er den offenen Messerkoffer stehen; die Heroinkapseln und der Kolben der AR-15 waren zu sehen. Er machte einen Schritt vorwärts, die Hand nach der Waffe ausgestreckt. Nora schloss die Augen.
Blut barst wie derbe Farbe aus dem erbsengroßen Loch im Kopf des Vietnamesen hervor. Der Mann fiel unter Pistolen- und Knochenklappern zu Boden, eine dunkle Lache breitete sich um ihn herum aus. Grady ließ die 22er sinken
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