Schrei Aus Der Ferne
die Blumen vor ihre Tür geschmissen und war widerwillig abgezogen, nach Hause zu Frau und Kindern.
Aber Helen wusste, dass Männer wie Declan Morrison nie wirklich meinten, etwas sei »in Ordnung«, dass sie sich nie geschlagen gaben und ein Kapitel abschlossen, bevor sie nicht eine neue Frau fest ins Visier genommen hatten.
Dieser Gedanke beschäftigte sie so lange, bis der Zug die hohe Brücke über den Tamar überquerte und der Biegung der Küste in Richtung St Germans folgte; an diesem Punkt stand sie auf und lief durch die Wagen, um sich Klarheit zu verschaffen.
Natürlich war es nicht Declan Morrison, nicht einmal jemand, der ihm bei genauerem Hinsehen besonders ähnlich sah, aber vielleicht waren die Übereinstimmungen groß genug, um zu erklären, warum sie sich auf den ersten Blick geirrt hatte – der Körperbau, die Schultern, die Form des Kopfes, selbst das Lächeln, das sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitete, als er merkte, dass sie ihn ansah.
Helen ging schnell weiter in den Speisewagen, um sich etwas für den Rest der Fahrt zu holen, aber ihre Erleichterung wurde untergraben von der Erkenntnis, dass ihr Irrtum natürlich bedeutete, dass sie Declan Morrison noch nicht aus ihren Gedanken vertrieben hatte.
Die Sache war noch unerledigt.
An ihren Platz zurückgekehrt, nahm sie ihr Buch wieder zur Hand und versuchte zu lesen – einen Roman, den ihr eine Freundin empfohlen hatte –, aber sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Der Zug fuhr jetzt langsamer, klapperte eine kleine Station im Südwesten nach der anderen ab, und plötzlich musste sie an den traurigen Fall vom Sommer zurückdenken, an Paul und Linda Carey, an Terrence Markham und die langsam heraufdämmernde Erkenntnis, dass Erfüllung und Glück unmöglich waren. Zwei Menschen waren tot, ein Kind war zur Waise geworden. Der kleine Carl wuchs im Haus seiner Großeltern heran und würdevielleicht niemals wirklich verstehen können, warum das alles so gekommen war.
»Oh Gott!«, sagte sie laut, knallte ihr Buch zu und erschreckte die Passagiere, die ihr gegenübersaßen.
Aussichtslos, dachte sie, mit einem anderen irgendeine Art von Glück zu finden, etwas von Dauer. Die Mehrzahl ihrer Kollegen lebte getrennt oder war geschieden, manche waren schon zum zweiten Mal verheiratet oder hatten die dritte Ehe im Blick; selbst die meisten ihrer Freundinnen, die sie einmal im Monat traf, um etwas zu trinken und ordentlich zu quatschen und beim Türken oder Griechen essen zu gehen, lebten aus freier Entscheidung oder umständehalber allein und einige von ihnen leckten immer noch ihre Wunden vom letzten Gefecht.
Unter all ihren Bekannten schienen nur noch Will und Lorraine bei der Stange geblieben zu sein, hielten alles zusammen und die Fahne der Ehe hoch: Kinder, ein Zuhause, ein Leben. Während andere Männer in Wills Alter und Position fremdgingen, was das Zeug hielt, und alles mitnahmen, was ihren Weg kreuzte, zeigte der verdammte Will nicht die geringste Neigung zu einem Auswärtsspiel.
Er sah die Frauen an – sie hatte mitbekommen, wie er der kleinen Ellie Chapin gelegentlich einen prüfenden Blick zugeworfen hatte, als sie zur Kriminalpolizei kam –, aber dann schob er den Gedanken einfach beiseite. Und wenn Helen mit ihm flirtete, was sie manchmal ganz schamlos tat, spielte er mit, weil er genau wusste, dass ein Spiel eben ein Spiel war und Worte und Blicke niemals Taten, jedenfalls für ihn.
Manchmal, dachte Helen, hasste sie ihn fast für diese – was war es eigentlich? – Standhaftigkeit. Das war wohl das richtige Wort.
Als sie aufsah, stellte sie fest, dass sie gerade in Truro ankamen – Zeit, sich das Gesicht zu waschen, ihr Make-upaufzufrischen und die Gedanken wieder der Aufgabe zuzuwenden, die sie zu erledigen hatte.
Sie verspürte einen unerwarteten Anflug von Freude. Die Sonne glänzte auf den Kämmen der Wellen, die aufs Ufer zurollten, dann verlangsamte der Zug sein Tempo, weil er in den Bahnhof von Penzance einfuhr, sie sammelte ihre Sachen zusammen und stieg mit den heimkehrenden Ortsansässigen und den späten Urlaubern aus. Gleich hinter der Barriere stand groß, knochig und ernst der Mann, den sie treffen sollte.
Cordon streckte ihr eine Hand zur Begrüßung entgegen und griff mit der anderen nach ihrer Tasche. Seine Hand war warm und rau.
»Willkommen in Cornwall.« Jetzt war da der Anflug eines Lächelns, aber nur in den Augen. »Sie haben freundliches Wetter mitgebracht, wie ich
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